Melmoth der Wanderer
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FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Die Glocke scholl, das Beten schwoll,
Die Kerzen, sie brannten voll Glanz,
Der Mönch, ihr Sohn, ihre Tochter, dieNonn’,
Sie plärrten den Rosenkranz!
Die zweite Nacht –
Der Mönch und die Nonn’, sie plärrten laut,
Ihr Mund schier überquoll,
Und, traun, je lauter das Geplärr,
So rascher die Glocke scholl!
Die Dritte kam –
Die beiden, sie ließen den Rosenkranz,
Sie sanken voll Schrecken hin,
Kein Heiliger da im Himmel war,
Zu dem sie um Hülfe nicht schrie’n!
Southey
Moncada beschloß an dieser Stelle die Geschichte der Inderin, – dieses Geschöpfes, das Melmoth’s Leidenschaft nicht minder zum Opfer gefallen als seinem Schicksal, die ja beide gleich unheilig und unaussprechlich waren. Und er gab seine Absicht kund, unserm jungen Zuhörer auch das Los jener anderen Opfer zu enthüllen, deren Knochengerippe in dem unterirdischen Gewölbe des Jüden Adonaia zu Madrid aufbewahrt waren. Auch fügte er hinzu, daß die Umstände, die mit denselben sich verknüpften, noch dunklere und schrecklichere seien als jene, die er bereits geschildert habe, dieweil sie ja die Folge von Eindrücken gewesen, welche auf die Gemüter von männlichen Wesen durch einen Blick in die Zukunft hervorgerufen worden waren. Auch erwähnte er, daß sein Aufenthalt in des Jüden Behausung, seine Entweichung von dort, sowie die Gründe für seine schließliche Ankunft in Irland kaum weniger ungewöhnlich seien als alles, was er bisher vorgebracht habe. Der junge Melmoth (dessen Namen der Leser vielleicht schon vergessen hat) legte »ernsthafte Neigung« an den Tag, seine gefährliche Neugierde auch noch weiterhin befriedigt zu sehen. Auch mochte er, alles in allem, nicht ganz frei von der verwegenen Hoffnung sein, das Urbild jenes von ihm vernichteten Porträts aus der Wand treten und von sich aus diesen schreckliehen Bericht fortsetzen zu sehen.
Des Spaniers Erzählung hatte viele Tage in Anspruch genommen. Nach deren Ablauf aber bedeutete der junge Melmoth seinem Gast, er sei bereit, auch die Fortsetzung anzuhören.
So wurde denn eine Nacht festgesetzt, dies Garn weiterzuspinnen. Der junge Melmoth traf seinen Gast in dem auch bisher dafür benutzten Gemach. Es war eine düstere, sturmdurchheulte Nacht, – der Regen, der den Tag lang herniedergeströmt war, schien dem Winde gewichen zu sein, der in ungeheuren und plötzlichen Stößen heranschwoll und sicher ebenso unvermittelt wieder legte, als raffte er all seine Kräfte zusammen, um als ein nachtschwarzer Orkan über Land und Meer hereinzubrechen. Moncada und Melmoth rückten ihre Stühle näher ans Feuer und blickten einander an wie zwei Männer, die sich erst wechselseitig Mut einflößen müssen, das Wort zu ergreifen und zu vernehmen, und solchen Mut bei ihrem Gegenüber um so eifriger erwecken möchten, als sie deselben ja so wenig in sich selbst verspüren.
Schließlich aber nahm Moncada seine Stimme wie seine Entschlußkraft zusammen, um in dem Berichte fortzufahren. Da er aber alsbald merkte, daß er diesmal seines Zuhörers Aufmerksamkeit nicht zu fesseln vermochte, verstummte er.
»Mir war’s doch eben«, sagte Melmoth in Beantwortung des plötzlichen Schweigens, »mir war’s doch eben, als hätt’ ich ein Geräusch gehört, – als ginge da jemand über den Korridor.«
»Schscht! – So horcht doch!« raunte Moncada. »Ich möchte um nichts in der Welt, daß jemand uns zuhöre!«
Sie schwiegen mit angehaltenem Atem, – das Geräusch wiederholte sich, – es rührte unzweifelhaft von Schritten her, welche sich der Tür nahten, um danach wieder umzukehren. »Jemand spioniert uns nach«, sagte Melmoth, indem er sich halb aus seinem Lehnstuhl erhob, um nachzusehen. In diesem Augenblick aber wurde die Tür aufgetan, – und gab den Blick frei auf eine Gestalt, in welcher Moncada sogleich den Gegenstand seiner Erzählung erkannte, jenen geheimnisvollen Besucher aus dem Kerker der Inquisition, der junge Melmoth aber das lebende Original des Porträts, dessen unbeschreibliche Erscheinung ihn mit Bestürzung erfüllt hatte, da er am Sterbebett des Oheims gesessen.
Die Gestalt verharrte eine Weile in der Tür, – schritt dann langsam bis zur Mitte des Zimmers, – blieb dort abermals wie festgenagelt stehen, – und verweilte in dieser Reglosigkeit, ohne herüber zu blicken. Dann trat sie auf den Tisch zu, an dem die beiden saßen, – trat mit deutlich vernehmbarem Schritt darauf zu, –
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