Melodie der Liebe
platzen. Der erste Tag ist, glaube ich, für die Eltern viel schwerer als für das Kind.“
„Es war der längste Tag meines Lebens.“
Sie lachte, ein wohltönender, rauchiger Klang, der in dem Raum voller Clowns und Plüschbären unglaublich erotisch an seine Ohren drang. „Mir scheint, nicht nur Ihre Tochter hat sich ein Geschenk verdient. Bei Ihrem letzten Besuch haben Sie sich eine Spieluhr angesehen. Ich habe da noch eine andere, die Ihnen gefallen könnte.“
Mit diesen Worten führte sie ihn nach hinten. Spence gab sich alle Mühe, den subtilen Schwung ihrer Hüften und den milden, frischen Duft ihrer Haut zu ignorieren. Die Spieluhr, die sie ihm zeigte, war aus Holz geschnitzt. Den Sockel zierten eine Katze und eine Geige, eine Kuh und eine Mondsichel. Als die Spieluhr sich zu „Stardust“ drehte, kam der lachende Hund und der Napf mit dem Löffel in Sicht.
„Sie ist bezaubernd.“
„Eine meiner Lieblingsuhren.“ Sie war zu demUrteil gekommen, dass ein Mann, der seine Tochter so vergötterte, nicht gar so übel sein konnte. „Ich könnte mir vorstellen, dass es ein schönes Erinnerungsstück ist, etwas, mit dem sie an ihrem ersten College-Tag daran erinnert wird, dass ihr Vater damals an sie gedacht hat.“
„Vorausgesetzt, er überlebt das erste Schuljahr.“ Er wandte den Kopf, um sie anzusehen. „Vielen Dank. Dies ist das ideale Geschenk.“
Als er den Kopf bewegte, hatte sein Arm ihre Schulter gestreift. Nur kurz und flüchtig. Dennoch war es ihr durch und durch gegangen. Sekundenlang vergaß sie, dass er ein Kunde war, ein Vater, ein Ehemann. Die Farbe seiner Augen glich der eines Flusses in der Dämmerung. Seine Lippen, zur leisesten Andeutung eines Lächelns verzogen, waren unglaublich anziehend und verführerisch. Unwillkürlich überlegte sie, wie es wohl wäre, sie zu spüren. Ihm ins Gesicht zu sehen, wenn er sie küsste, und sich in seinen Augen zu spiegeln.
Über sich selbst entsetzt, trat sie zurück. Ihre Stimme wurde kälter. „Ich lege sie Ihnen in eine Schachtel.“
Er wunderte sich über den plötzlichen Wechsel des Tonfalls und folgte ihr langsam zum Tresen. War da nicht etwas in ihren Augen gewesen? Oder hatte er es sich nur eingebildet, weil er es zu sehen hoffte? Es war schnell wieder vorbei gewesen, wie eine Flamme im Eisregen.
„Natasha.“ Er legte seine Hand auf ihre, als sie die Spieluhr einzupacken begann.
Langsam hob sie den Blick. Sie hasste sich bereits dafür, dass sie bemerkt hatte, wie schmal und lang seine Finger waren. Und in seiner Stimme registrierte sie jenen duldsamen Unterton, der sie noch nervöser machte, als sie es ohnehin schon war.
„Ja?“
„Warum bekomme ich nur immer das Gefühl, dass Sie mich am liebsten in kochendem Öl sieden möchten?“
„Sie irren sich“, erwiderte sie ruhig. „Ich glaube nicht, dass ich das möchte.“
„Das klingt nicht überzeugt.“ Er spürte, wie ihre Hand sich streckte, weich und doch kräftig. Das Bild samtverkleideten Stahls schien ihm besonders passend. „Irgendwie will mir nicht einfallen, womit ich Sie verärgert habe.“
„Dann sollten Sie darüber nachdenken. Bar oder Kreditkarte?“
Mit Abfuhren hatte er wenig Erfahrung. Diese jedenfalls stach ihm wie eine Wespe ins Ego. Egal wie hübsch sie war, er hatte wenig Lust, sich den Kopf an immer derselben Wand einzuhauen.
„Bar.“ Hinter ihnen ertönte das Glockenspiel, und er ließ ihre Hand los. Drei Kinder, offenbar gerade aus der Schule gekommen, betraten kichernd das Geschäft. Ein kleiner Junge mit rotemHaar und einem Meer von Sommersprossen stellte sich vor dem Tresen auf die Zehenspitzen.
„Ich hab drei Dollar“, verkündete er.
Natasha unterdrückte ein Lächeln. „Heute sind Sie aber sehr reich, Mr. Jensen.“
Er grinste stolz und entblößte dabei seine neueste Zahnlücke. „Ich habe gespart. Ich möchte den Rennwagen.“
Natasha zog eine Augenbraue hoch, während sie Spences Wechselgeld abzählte. „Weiß deine Mutter, wofür du deine Ersparnisse ausgibst?“ Ihr neuer Kunde antwortete nicht. „Scott?“
Er trat von einem Fuß auf den anderen. „Sie hat nicht gesagt, ich darf nicht.“
„Und sie hat nicht gesagt, dass du darfst“, folgerte Natasha. Sie beugte sich vor und zog an seiner Tolle. „Du gehst jetzt nach Hause und fragst sie. Dann kommst du zurück. Der Rennwagen wird noch hier sein.“
„Aber …“
„Du möchtest doch sicher nicht, dass deine Mutter böse auf mich ist, oder?“
Scott blickte
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