Melodie des Südens
Hunde mehr auf der Magnolias-Plantage. Und sie gratulierte sich zu ihrem Sieg, ungeachtet der Unhöflichkeit des Mannes. Sie setzte sich in den Arbeitssessel ihres Vaters. Ja, hinter diesem Schreibtisch hatte man wirklich Macht.
4
Nicolette Chamard hatte zwar nicht die rauchige Sinnlichkeit in der Stimme, die ihre Mutter so auszeichnete, aber dafür sang sie mit einem Sopran von großer Leichtigkeit, der gut zu ihrem Temperament und zu dem Humor passte, den sie in ihren Gesang einbrachte. Die Zuhörer jubelten, wenn sie während ihres Innuendos zwinkerte und kicherte. Und das war also seine kleine Schwester, staunte Gabriel. Eine schöne, talentierte Sängerin, die schon wusste, wie man einen Saal voll verwöhnter Zuhörer aus der feinen Gesellschaft von New Orleans fesselte.
Die raumhohen Fenster waren geöffnet, um die kühle Nachtluft hereinzulassen, aber Gabriel spürte trotzdem, wie ihm unter seinem Jackett und dem gestärkten Hemd der Schweiß herunterrann. Er fuhr mit dem Finger an dem steifen Kragen entlang und nickte dem Kellner zu.
»Noch eine Runde, die Herren?«, fragte er. Marcel und Yves Chamard stimmten zu, aber ihr Freund Adam Johnston schien ihn nicht zu hören. Gabriel hielt zur Bestellung vier Finger hoch und lehnte sich dann zurück, um Mr Johnston dabei zuzusehen, wie er Nicolette bewunderte.
In diesem Saal konnte man deutlich erkennen, welch ein seltsames Verhältnis zwischen der weißen Gesellschaft von New Orleans und der weniger privilegierten Schicht wohlhabender Farbiger herrschte. Hätte man sich in dem amerikanischen und kreolischen Urlaubsort am Lake Pontchartrain befunden, dann hätte Nicolette vor einem ausschließlich weißen Publikum gesungen. Ihr Bruder hätte sie nur dann zu hören bekommen, wenn er als Kellner eingestellt worden wäre. Hier jedoch mischten sich weiße Herren mit liberaler Einstellung – oder vielleicht mit erotischen Plänen – mit freigelassenen Sklaven und Sklavinnen. Und so konnte Gabriel hier sitzen, gemeinsam mit seinen weißen kreolischen Halbbrüdern Marcel und Yves, und ihrer gemeinsamen Schwester zuhören.
Bertrand Chamard, ihr Vater, hatte seine farbigen Kinder immer offiziell anerkannt, und er hatte seine weißen Söhne dazu angehalten, Gabriel und Nicolette vorbehaltlos anzunehmen. Seine Ehefrauen – Marcels Mutter war relativ jung gestorben, Yves stammte aus seiner zweiten Ehe – hatten immer so getan, als wüssten sie nichts von Bertrands anderer Familie, aber seine Kinder hatte er miteinander bekannt gemacht.
Gabriel rauchte seine Zigarre und beobachtete Adam, den Freund seiner Brüder, einen Cousin von Marcel, mit Yves jedoch nicht verwandt. Adam Johnstons Gesicht glühte im Kerzenlicht förmlich vor Begeisterung. Seit sie zu singen angefangen hatte, hatte er den Blick nicht mehr von ihr abgewandt.
Gabriel wechselte einen Blick mit Yves, und gemeinsam lächelten sie über Adams offensichtliche Begeisterung. Ein Blitz aus heiterem Himmel, so nannte man das wohl. Dieser eine Augenblick, in dem ein Mann weiß, dass sein Herz, seine Seele und sein Körper einer Frau gehören, die er soeben zum ersten Mal gesehen hat.
Nicolette beendete ihren Auftritt. Während der Applaus durch den Saal rollte, deutete sie mit ausgestrecktem Arm zu Pierre LaFitte hinüber, der sie auf dem Klavier begleitet hatte. Gemeinsam verbeugten sie sich nach links und rechts und zur Mitte des Saales und zogen sich endlich zurück, während der Applaus ihnen aus dem Rampenlicht hinaus folgte.
Gabriel, der seine Tischgenossen eingeladen hatte, flüsterte dem Kellner eine Einladung an Nicolette zu. Kurz darauf schlängelte sie sich an den Tischen vorbei zu ihnen. Ihr Satinkleid glänzte im Kerzenlicht, und das blaue Kopftuch betonte ihren hübschen, langen Hals. Einige Herren hielten sie kurz auf, um ihr zu gratulieren, ihr Sträußchen und Einladungen zu überreichen, und sie gab jedem von ihnen freundlich und selbstbewusst Antwort. Seit einem Jahr war sie als professionelle Sängerin tätig, und sie kannte ihre Rolle, sowohl auf der Bühne als auch im Saal.
Die Herren standen auf, um Nicolette zu begrüßen. Ihre Brüder küssten sie voller Stolz. Adam Johnston wartete ab, bis er an der Reihe war, dann nahm er ihre Hand und küsste sie – für Gabriels Geschmack ein wenig zu leidenschaftlich.
»Mademoiselle, es ist mir eine Ehre«, hauchte Adam. Der Mann ist so durchsichtig wie Glas, dachte Gabriel. Er hätte sich ebenso gut vor ihr auf die Knie werfen und ihr
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