Melvin, mein Hund und die russischen Gurken
kein Name. Das ist meine Lieblingsfarbe.«
»Ah. Und was für eine Farbe soll das sein?«
»Blau. So wie der Himmel, wenn es langsam dunkel wird. Dieser schmale Streifen, in dem sich Tag und Nacht vermischen. Traumstunde, sagt meine Mutter. Indigo eben.«
»Okay, dann eben Indigo.«
»Ich finde es bescheuert, dass andere deinen Namen bestimmen. Jeder sollte sich seinen Namen selbst aussuchen dürfen.«
»Hmm. Hab ich noch nie drüber nachgedacht.«
»Wie würdest du heißen?«
»Verrat ich nicht.«
»Oh, bitte!«
»Nee, lass mal.«
Alle nennen mich Johnny, meine Freunde, sogar meine Familie. Johnny Walker, Johnny Depp, Johnny Cash. Coole Typen heißen nun mal Johnny. Ich musste mich nie besonders anstrengen, um zu den coolen Typen zu gehören. Alle denken, Skaten wäre mein Leben. Aber wenn ich mich dabei so oft auf die Fresse legen würde wie meine Kumpels, hätte ich es vielleicht längst aufgegeben. So habe ich es eigentlich immer gemacht, wenn mir was zu stressig wurde. Auch mit den Mädchen.
Aber dann kam Indigo.
»Van Gogh ist Gott«, sagt Indigo und bleibt vor einem ziemlich kleinen, ziemlich bunten Bild stehen. Ich habe keine Ahnung von van Gogh und überlege, ob das dieser Kerl war, der sich ein Ohr abgeschnitten hat. Da stößt Indigo einen Begeisterungsschrei aus und zerrt mich am Handgelenk quer durch den Ausstellungsraum.
Die anderen Besucher gucken zu uns rüber. Sie unterhalten sich in gedämpftem Ton, als wären sie hier auf van Goghs Beerdigung. Der Mann, der die Raumaufsicht macht, legt vorwurfsvoll einen Finger an die Lippen.
Indigo bemerkt es nicht. Sie steht inzwischen vor einem großen, zweifarbigen Bild und hat die Arme ausgebreitet, als wollte sie es umarmen … oder sich hineinstürzen.
»Rothko ist so geil!«, ruft Indigo. Ich habe den Namen noch nie gehört, aber das sollte ich wohl lieber für mich behalten. Stattdessen versuche ich unauffällig, das Schildchen zu Rothkos Biografie zu überfliegen, das neben dem Bild hängt.
1903 in Dwinsk (Russland) unter dem Namen Marcus Rothkowicz geboren … 1913 wanderte die Familie in die USA aus … dort änderte er seinen Namen in Mark Rothko.
»Rothko muss über die Leinwände geflogen sein, mit Farbe an den Flügeln. Oh, wie ich ihn beneide!«, sagt Indigo mit Inbrunst und starrt mit brennenden Augen das Bild an.
Nach Depressionen am 25.02.1970 Tod durch Selbstmord.
»Na ja, so toll ist das Bild nun auch wieder nicht«, murmele ich.
»Machst du Witze?! Guck doch, die Farben! Das Rot und das Gelb, die haben Sex miteinander. Das musst du doch sehen!«
Ich möchte viel lieber sie ansehen als dieses blöde Bild.
»Hab doch keine Ahnung von so was«, murmele ich. Das Einzige, womit ich mich richtig auskenne, ist Skaten.
»Du brauchst keine Ahnung zu haben«, entgegnet Indigo. »Du musst nur da stehen und das Bild was mit dir machen lassen. Pass auf, ich zeig’s dir. Geh mal ein Stück zurück.«
Zögernd mache ich ein paar Schritte rückwärts, während Indigo neben dem Rothko-Bild stehen bleibt. »Noch weiter!«, dirigiert sie mich mit ungeduldig wedelnden Händen. »Stopp, so ist gut. Und, spürst du was?«
Ich stehe auf dem Parkett in der Mitte eines riesigen, weißen Raumes und zucke die Schultern.
»Immer noch nicht?«
Die Bilder starren mich an.
»Du musst zulassen, dass die Kunst dich einfach umwirft!« Und mit diesen Worten rennt Indigo los, direkt auf mich zu. Ich stehe da und denke, das meint sie nicht ernst, gleich bremst sie ab. Aber dann fliegt sie auf mich zu und ich kapiere, dass Indigo ans Bremsen noch nie einen Gedanken verschwendet hat. Unsere Körper prallen aufeinander. Obwohl sie so zierlich ist, wirft die Wucht des Aufpralls mich fast um. Doch ich schaffe es irgendwie, sie aufzufangen. Indigo schlingt die Beine um meine Hüften und die Arme um meinen Hals und lacht laut und wild. Mein Herz hämmert noch vor Schreck, aber ich muss mitlachen. Wir lachen, während ich sie herumwirbele, ihre Haare fliegen und alle Leute starren uns an.
»Das ist ja eine Verrückte!«, sagt jemand laut.
Aber das ist mir egal. Van Gogh und Rothko sind mir auch egal, denn die sind tot und ich bin hier mit diesem großartigen Mädchen und spüre, wie sein Körper sich an meinen schmiegt, weich und wunderbar fest zugleich. Seine Lippen an meinem Ohr, als es flüstert: »Lass uns zu mir gehen.«
Da habe ich plötzlich dieses Bild im Kopf, wie wir uns glitschig vor Farbe lieben. Ich stelle mir vor, wie sich unsere Farben zu
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