Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
Bäume, die ebenfalls ihren Namen singt. Helmud? Kann das sein?
Als sie aufsteht, sieht sie, dass El Capitán auf sie zuhumpelt. »Er ist wieder da!«, ruft sie. »Ich hab ihn zurückgeholt!«
Doch El Capitáns Gesicht ist zu einer kreideweißen, bitteren Grimasse versteinert. Er hat Angst. »Was hast du getan?«
Sie hört ein zittriges, flatterndes Geräusch – wie das Rauschen eines übergroßen Handventilators. Mit ihrer guten Hand klammert sie sich an den Baum neben ihr. Sie traut sich nicht, sich umzudrehen. Raue Rinde unter ihren Fingern. Sie sucht El Capitáns Blick. Sein Mund steht offen, als wollte er etwas sagen. Aber er kann nicht.
Pressia muss sich umdrehen. Sie muss sehen, was er sieht. Ihr ist übel. Doch sie reißt den Kopf herum und wirft einen Blick über die Schulter.
Hinter ihr liegt Bradwell. Er ist am Leben, aber er leidet große Schmerzen. Er windet sich auf der Erde, krümmt sich, wirft den Kopf gequält zurück. Irgendwann steht er wankend auf. Seine nackte, zerfetzte Brust versiegelt sich weiter, knüpft sich zu einer langen, schwarzen, blutverkrusteten Narbe. Seine Arme wirken kräftiger denn je, und einen Augenblick lang glaubt Pressia, er würde einen schweren, dunklen Umhang tragen – einen Federumhang.
Doch sie weiß, dass es kein Umhang ist. Sie weiß, dass die Vögel die Oberhand gewonnen haben. Was hat sie denn erwartet? Sie kann es nicht sagen. Aber nicht das … nicht das …
Zu beiden Seiten seines Rückens spannen sich große, geschmeidige Flügel – aber nicht nur ein Flügelpaar. Es sind sechs Flügel. Sechs Flügel toben auf Bradwells Rücken und reißen ihn brutal hin und her. Er starrt Pressia an. »Was hast du mir angetan!?«
Einige Sekunden lang verliert sich Pressias Stimme in ihrer Kehle. Dann kann sie es ihm endlich sagen. »Ich habe dich zurückgeholt.«
PARTRIDGE
Kuss
Beckley klopft frühmorgens an. Es klingt, als würde er den Pistolengriff auf die Tür hämmern. Partridge hat sich bereits angezogen. In einer Hosentasche steckt der Umschlag mit der Kapsel, in der anderen die Liste. Er sollte die Liste vernichten, aber er kann nicht. Er braucht eine Wahrheit, an der er sich festhalten kann.
Als er die Tür öffnet, ist er nicht überrascht, auch Iralene im Flur stehen zu sehen. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Augen huschen nervös umher.
»Bereit?«, fragt Beckley.
Partridge nickt. Aber er ist nicht bereit. Er hat die ganze Nacht versucht, seine Lage logisch zu überdenken, und am Ende ist er zu dem Schluss gekommen, dass sein Vater ihn nicht umbringen will. Dafür gibt es zwei Beweise: sein kleiner Finger – der mittlerweile bis über das oberste Gelenk nachgewachsen ist, sodass schon der Fingernagel sprießt – und die Tatsache, dass seine Erinnerung gelöscht wurde. Warum sollte sein Vater das tun, wenn er ihn ohnehin töten will? Warum sollte er sich die Mühe machen? Iralene muss irgendetwas falsch verstanden haben. Und trotzdem hat Partridge die Kapsel eingesteckt. Lauert da immer noch ein quälender Zweifel in seinem Hinterkopf? Vielleicht.
Auf nicht öffentlichen Wegen begeben sie sich zum Medizinischen Zentrum und treffen etwas verfrüht ein. Eine Technikerin begleitet sie in ein separates Zimmer. »Sie können draußen warten«, sagt sie zu Beckley. »Bewachen Sie die Tür.«
Sie befinden sich in einem kleinen, beige gestrichenen Raum mit einem Bett, das mit weißem, knisterndem Papier bezogen ist, ein paar Stühlen und einem in die Wand eingelassenen Computer. »Vor der Operation würde ich gerne noch mit meinem Vater sprechen«, fordert Partridge.
»Das ist nicht vorgesehen«, erwidert die Technikerin.
»Wir sind sowieso früh dran. Und er ist doch hier?«
Sie nickt verlegen. »Leider kann ich das nicht genehmigen.«
»Dann will ich Dr. Weed sprechen«, sagt Partridge.
»Ich glaube nicht, dass Dr. Weed vor dem Eingriff noch eine Konsultation vorgesehen hat. Sie können ihn danach sprechen.«
Iralene hakt sich bei Partridge unter und zwickt ihn knapp oberhalb des Ellenbogens. »Aber Sie wissen schon, wer hier vor Ihnen steht?«, fragt sie die Technikerin. »Oder besser gesagt, wer er eines Tages sein wird? Und zwar bald. Sehr bald.«
Die Technikerin nickt. Das Zucken ihrer geschminkten Wangen soll wohl ein Lächeln andeuten. »Aber natürlich. Partridge Willux.«
»Dann wissen Sie vielleicht auch, dass sein Vater schon sein Testament gemacht und unterzeichnet hat. Die Macht wird unverzüglich auf seinen
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