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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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Todesurteil.«
    »Er ist Willux’ Sohn«, überlegt Bradwell. »Da kriegt er vielleicht eine Sonderbehandlung.«
    »Und was soll er sonst machen?«, ergänzt El Capitán. »Die anderen sterben lassen, einen nach dem anderen?«
    »Wir müssen zu ihm«, beschließt Pressia.
    El Capitán nickt. »Ja, sonst kriegen ihn nur die Kapitol-Verehrer in die Finger. Sie sagen, sie wollen ihn ausliefern. Aber die sind so verrückt, dass sie ihn am Ende ausliefern, indem sie ihn verbrennen und seine Asche in die erste steife Brise streuen!«
    »Die Mütter hören alles. Sie haben überall Augen und Ohren«, beruhigt Bradwell sie und gibt Gas, als sie endlich ein gerades Stück Straße erreichen. Unter den Rädern knacken die Spinnen wie Knochen. »Die wissen, dass wir kommen, bevor wir überhaupt in der Nähe sind.«
    »Also gut.« El Capitán wirkt immer noch blass. Die Explosion hat ihn ziemlich mitgenommen.
    »Danke, dass du mich da weggetragen hast«, sagt Pressia.
    »Das war doch klar. Ist nicht der Rede wert.«
    »Der Rede wert«, flüstert Helmud.
    Wilda starrt Pressia von unten herauf an. »Wir wollen unseren Sohn.« Vielleicht ist sie bloß müde.
    Pressia streichelt sie. »Lehn dich ein bisschen an.«
    Das Mädchen lässt den Kopf an ihre Schulter sinken und hebt die Arme, bis Pressia ihr den Puppenkopf hinhält. Als Wilda die Puppe an die Brust drückt und die Augen schließt, kommt Pressia ein Schlaflied in den Sinn, das ihre Mutter ihr immer vorgesungen hat. Vor ihrem geistigen Auge taucht das Gesicht ihrer Mutter auf. Dann der Blutnebel. El Capitán hat sie vor der Explosion gerettet. Hätte sie nicht auch irgendetwas für ihre Mutter tun können? Irgendetwas? Pressia beugt sich zu Wildas Ohr und singt das Lied, das ihr eingefallen ist. Das Lied, das auch der Mann im überfüllten OSR-Hauptquartier gesungen hat, als es den Schnee zum Fenster hereingeweht hat.
Die Geistermädchen, die grausigen Mädchen, die Geistermädchen.
Wer kann sie vor dieser Welt retten? Vor dieser Welt?
Der breite Fluss, die schäumende Strömung, die lockende Strömung, die schäumende Strömung …
Sie waten ins Wasser, sie warten auf Heilung, Heilung ihrer Wunden.
Tod durch Ertrinken, blätternde Haut, glitzernde Haut, blätternde Haut.
    Ihr Großvater hat Pressia erzählt, dass sie in einen Kindergarten nur für Mädchen gegangen wäre, und dass sie dazu immer einen Faltenrock und eine weiße Bluse mit einem Kragen wie bei Peter Pan getragen hätte. Sie weiß, dass Peter Pan ein Junge war, der nie groß geworden ist. War das ihre Kindheit? Oder hatte ihr Großvater diese Kindheit einer anderen geklaut? Das Schlaflied handelt von Internatsschülerinnen, die die Bomben überlebt hatten. Sie liefen zum Fluss und sangen ihre Schulhymne. Manche Mädchen waren erblindet, weil sie im Gras gelegen und in den Himmel geblickt hatten, als er unter den Explosionen erstrahlt war – so erzählt man es sich zumindest. Sie kauerten gemeinsam am Ufer, manche wateten ins Wasser. Das Wasser tat gut, es linderte die Verbrennungen, auch wenn es von den Bomben erwärmt worden war. Ihre Haut verwandelte sich in eine papierene Schicht, die von den Armen abblätterte, am Hals kräuselte sie sich wie Spitzenkragen. Danach erkannten die Leute sie nur noch an ihren Uniformen, oder was noch davon übrig war.
Blind marschieren sie, mit singenden Stimmen, klagenden Stimmen, singenden Stimmen.
Wir hören sie, bis uns die Ohren klingeln, die Ohren kreischen, die Ohren klingeln.
    Es heißt, die Leute wollten die Mädchen retten. Aber die Mädchen wollten nicht gerettet werden. Sie wollten gemeinsam sterben, und sie starben gemeinsam. Und dabei sangen sie.
Sie brauchen einen Erlöser und Retter, Erlöser und Rächer, Erlöser und Retter.
Sie jagen und streunen an diesen Gestaden, an diesen Gestaden für alle Zeit.
    In manchen Versionen verschmelzen sie mit Bäumen, die bis heute am Ufer stehen. In anderen werden sie zu Dusts, die am Fluss umherstreifen und jeden verschlingen, der ihnen zu nahe kommt. Manchmal verbinden sie sich mit Tieren und verwandeln sich in Füchse oder Wasservögel. Aber eines haben alle Fassungen gemeinsam: Keiner kann sie jemals zurückholen.
Die Geistermädchen, die grausigen Mädchen, die Geistermädchen.
Wer kann sie vor dieser Welt retten? Vor dieser Welt?
Der breite Fluss, die schäumende Strömung, die lockende Strömung, die schäumende Strömung …
    In Wildas Alter hat Pressia oft an die Geistermädchen gedacht, die in zerschlissenen

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