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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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doch sie kann nicht. Ihre Kiefer rasseln, ihre Zähne klappern. Sie zittert so stark, dass Bradwell sie kaum halten kann. Die Geistermädchen haben sie gerettet – und nun stirbt sie an Unterkühlung? Sie weiß, dass ihre Körpertemperatur stark abgefallen ist. Sie war zu lange im eisigen Wasser, dazu der pfeifende Wind. Ihre Kleidung hat sie nach unten gezogen, und jetzt klebt sie an ihrer Haut wie kalte Umschläge. Als sie die Brücke aus Leichen überquerte, als kleines Mädchen, sehnte sich jeder nach kalten Umschlägen. Jetzt wird sie daran sterben.
    Sie laufen durch Bäume. Fignan leuchtet ihnen den schmalen Weg, Bradwell folgt ihm. Auch er zittert. Sie spürt, wie seine Arme beben, spürt seine abgehackten, ruckartigen Schritte.
    »Es tut mir leid«, flüstert sie noch einmal.
    »Sag das nicht.« Bradwell stolpert und kippt nach vorne. Sie krachen auf die Erde. Er hievt sich auf die Knie, hebt sie auf, steht wieder auf wankenden Beinen und schleppt sich weiter. Seine nackte Haut ist knallrot angelaufen. »Pressia«, sagt er. Sie blickt zu ihm auf – sein angespannter Unterkiefer, sein feuchtes Haar, seine dunklen Augen. »Denk an irgendwas Warmes. An etwas Heißes. An etwas Gutes.« Die Angst ist ihm anzusehen. Er atmet nur noch stoßweise.
    Sie denkt an den Moment, als Bradwell ihr den Aufziehschmetterling gegeben hat, den er aus ihrem alten Zuhause gerettet hatte. Für ihn war der Schmetterling ein Wunder – dass es in dieser Welt noch so etwas Schönes gab. Irgendwie schafft er es immer wieder, dass sie rot wird. Das ist eine Erinnerung an Wärme und Hitze, an etwas Gutes. Sie will ihm davon erzählen, doch sie kann keine Worte formen.
    Bradwell stürzt erneut. Diesmal murmelt er einen leisen Fluch. Er versucht, sie aufzuheben, und schafft es nicht. Der Boden unter ihnen ist kalt und hart. »Fignan«, ächzt er. »Geh weiter, immer den Pfad entlang zum Vorposten. Kriegst du das hin? Hörst du mir zu? Geh andere Menschen suchen. Hol Hilfe.«
    Pressia hört Fignans surrenden Motor. Er verschwindet. Sie bezweifelt, dass er jemanden findet. Und erst recht, dass er irgendjemanden hierherbringen kann, um sie zu retten.
    Bradwell zerrt sie in ein dichtes Gestrüpp aus Büschen und Laub um eine Baumgruppe, gräbt eine Grube in den Blättern und legt sie hinein. »Du musst aus den nassen Klamotten raus. Du musst am Leben bleiben. Verstehst du mich? Ich kann nicht mehr weiter.«
    Sie nickt. Sie sieht sein Gesicht nur noch bruchstückhaft – eine Augenbraue, dann seine Lippen, seine Hände. Ja, sie muss am Leben bleiben.
    Seine Finger zittern fast zu stark, um ihr die Hose aufzuknöpfen. Er zieht die Hose herunter, streift ihr das Hemd ab, zerrt es von ihren morschen Armen. Dann legt er sich auf die Seite, um die Vögel nicht zu ersticken, und nimmt die Kälte der Erde für sie auf. Er bettet sich und sie ins Laub und schlingt die Arme um ihren Hals. Die Vögel zucken kaum noch, bewegen sich kaum noch.
    Seine Rippen an ihren Rippen. Sie stellt sich vor, ihn für immer zu umarmen, ihre Rippen in seine verschränkt. Gemeinsam atmen sie ein und aus, ein und aus. Aus ihren roten Lippen steigen weißliche Wolken auf. Ihre Wange auf seiner Brust. Er hält sie fest, er reibt ihr den Rücken, die Arme, doch seine Bewegungen wirken stockend und langsam, auch als er ihr das kalte, nasse Haar von der Haut wischt. »Bleib bei mir«, flüstert er. »Sag was. Red mit mir.«
    Sie will ihm sagen, dass sie lieber hier sterben will, mit ihm, als im kalten Fluss. Dass sie dann vielleicht für immer zusammenbleiben, Rippe an Rippe, bis sie gefrieren. Später würden sie tauen, die Gräser und Kräuter würden wachsen, das Moos würde sie bedecken.
    »Pressia? Red mit mir. Kannst du sprechen?«
    Kann sie sprechen? Sie denkt an das kleine Mädchen, das einen Fluss voller Leichen überqueren musste. Konnte sie damals sprechen? Sie sagte Worte, die niemand verstand. Und irgendwann gab es keine Worte mehr für das, was sie sah und fühlte – wie ein Körper schwankt und nachgibt, wenn man darüberkrabbelt, wie er gegen weitere Körper unter dem Wasser stößt. »Itchy knee«, flüstert sie mit klappernden Zähnen.
    »Itchy knee?«, wiederholt Bradwell – und als hätte er den unerklärlichen Bereich ihres Denkens entschlüsselt, als könnte er ihre Gedanken lesen, fährt er fort: »Sun, she go?«
    Sie hat keine Ahnung, was diese Worte bedeuten oder warum Bradwell sie zu verstehen scheint, aber sie nickt, ein unkontrolliertes

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