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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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blickt auf den Fluss. »Weißt du, was ich gerne wüsste? Ob ich schwimmen kann. Man sollte doch meinen, dass man so was über sich weiß. Oder?«
    »Ja, klar.«
    In der Nähe wuseln weitere Schatten durchs Gras. Hier und da ertönt ein Knurren.
    Bradwell dreht sich zu ihr um. »Willst du es ausprobieren?«
    »Ob ich schwimmen kann? Bist du verrückt? Das Wasser ist eiskalt. Also, wo können wir rüberwaten?«
    »Das ist die Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob es eineinhalb Kilometer in diese oder in die andere Richtung waren. Und die Tiere lassen uns keine Zeit zum Nachdenken.«
    »Ich geh da nicht rein. Egal ob ich schwimmen kann oder nicht. Da drinnen erfrieren wir doch!«
    Flussaufwärts klimpert wieder das Schilf. Ein kleines, mageres Tier flitzt durch die Halme. Das Knurren wird lauter.
    Bradwell fängt an, sich die Stiefel aufzuschnüren. »Wenn du mich fragst, werden wir eher von knurrenden Viechern gefressen.«
    »Was sind das für Viecher?«
    »Keine Ahnung, aber sie werden langsam ungemütlich. Siehst du das Blechdach da drüben?«
    Mit zusammengekniffenen Augen späht Pressia über den Fluss. Zwischen den Bäumen kann sie gerade so die ferne Spitze eines Dachs erkennen. »Ist das der Vorposten?«
    »Jepp.«
    »Und warum hat hier keiner eine Brücke gebaut?«
    »Wer denn? Die Biber?«
    »Egal wer.«
    »Siehst du hier irgendwo einen Biber?«
    »Vielleicht hört der Vorposten uns, wenn wir schreien.«
    »Ich fürchte, dafür ist der Fluss ein bisschen zu laut. Außerdem – was sollen sie denn machen? Sich an den Händen fassen, damit wir über ihre Rücken laufen können?«
    Eine Brücke aus Menschen. Ein Fluss. Da ist eine Erinnerung. Pressia wird schlecht. Heißer Speichel sammelt sich in ihrem Mund. Sie beugt sich vor und spuckt aus.
    »Was ist?«
    »Nichts. Mir geht’s gut.«
    »Du siehst aber nicht gut aus.«
    »Vielen Dank auch.« Sie waten ins Wasser, sie warten auf Heilung, Heilung ihrer Wunden. Tod durch Ertrinken, blätternde Haut, glitzernde Haut, blätternde Haut. Vor ihrem geistigen Auge sieht Pressia, wie die erblindeten Geistermädchen einander an den Händen zum Fluss führen und ihre Hymne singen. Menschen im Wasser. Wasser. Was hat Bradwell gesagt? Wie überall, wo es Wasser gab, aber das weißt du ja. Swimmingpools, Ententeiche auf Golfplätzen. Und Flüsse wie der da. Weiß sie es wirklich?
    »Hör mal«, sagt Bradwell und zieht sich die Jacke aus. »Du musst dich nur treiben lassen. Dann kann ich dich rüberziehen.«
    Blind marschieren sie, mit singenden Stimmen, klagenden Stimmen, singenden Stimmen. Wir hören sie, bis uns die Ohren klingeln, die Ohren kreischen, die Ohren klingeln. Pressia sieht sich um. Mittlerweile gleicht jeder Busch einem kleinen, kauernden Tier. Doch die Vorstellung, in einem Fluss zu treiben, gefällt ihr nicht. Sind die Leichen der Geistermädchen nicht auch oben geschwommen? »Aber dann werden die Karten nass.«
    »Ja, aber sie sind mit Bleistift geschrieben, nicht mit Kugelschreiber. Deshalb ist es halb so schlimm.« Bradwell streift das Hemd ab, vielleicht um sich im Wasser leichter bewegen zu können. Sein Brustkorb ist breiter und kräftiger als in Pressias Erinnerung. Die Wunden an seinen starken Schultern sind verheilt, rosarote Narben sind geblieben. Er ist schön und abgehärtet – umso schöner, weil er so viel durchgemacht hat. Pressia hört die Vogelflügel rascheln, sieht sie aber nicht. Steht er mit dem Rücken zum Wald, um sie vor ihr zu verbergen? Wahrscheinlich, auch wenn er es nie zugeben würde.
    »Du solltest deine schwereren Sachen ausziehen«, erklärt er. »Sie würden dich zu stark nach unten ziehen.« Er schnallt den Gürtel auf, hält inne und reibt sich die Arme.
    Fignan surrt ans Ufer und fährt die Arme und Räder ein. Aus seinen Seiten wachsen dünne Flossen. Sie wirken zart, aber widerstandsfähig. »Denkst du, er kommt klar?«, fragt Pressia.
    »Er wurde für den Weltuntergang konstruiert. Wir sind hier die Zerbrechlichen.«
    Die Zerbrechlichen. Wieder denkt Pressia an die Geistermädchen – so zerbrechlich. »Du willst das also wirklich durchziehen?«
    Als sie aufs Wasser blickt, entdeckt sie einen Strudel, der sofort wieder verschwindet. Sie denkt an den Fiebertraum aus ihrer Kindheit, an das Grauen überall. Sie musste Telefonmasten zählen, und als es keine Telefonmasten mehr gab, sagte ihr Großvater, dass sie die Augen schließen und eingebildete Telefonmasten zählen sollte. Itchy knee. Sun, she go.
    »Ich muss mich

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