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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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Flügeln. Sie schiebt die Finger zwischen den dünnen Stäben hindurch und streichelt die filigranen Flügel. Freedle ist bei ihnen, solange Pressia sich zurückerinnern kann. Obwohl er alt und rostig ist, bewegen sich seine Flügel manchmal noch. Er ist Pressias einziges Haustier. Sie hat ihm den Namen gegeben, als sie klein war, weil er so ein Geräusch von sich gab, wenn sie ihn durch das Zimmer flitzen ließen. Als würde er unablässig »Freedle! Freedle!« rufen. Sie hat ihn über all die Jahre am Laufen gehalten, mit dem Öl, das die Friseure früher für ihre Scheren benutzten. »Ich erinnere mich an Freedle«, sagt sie. »Aber nicht an eine Maus mit großen Ohren und weißen Handschuhen.« Sie ist fest entschlossen, ihren Großvater eines Tages zu belügen, und sei es nur, um das Thema ein für alle Mal zu beenden.
    Was weiß sie noch von den Explosionen? Das gleißende Licht – hell wie Sonne auf Sonne auf Sonne. Und sie erinnert sich, dass sie die Puppe gehalten hat. War sie nicht schon zu alt gewesen für eine Puppe? Der Puppenkopf hatte auf dem Rumpf gesessen, einem Stoffrumpf mit Armen und Beinen aus Gummi. Die Bomben hatten einen sengenden Lichtstrahl durch den Flughafen gesandt, der sie geblendet hatte, bevor die Welt explodiert und zum Teil geschmolzen war. Alles geriet durcheinander, und der Puppenkopf wurde ihre Hand. Heute ist der Kopf ein Teil von ihr – seine blinzelnden Augen, die bei jeder ihrer Bewegungen klicken, die schwarzen Wimpern, das Loch in den Plastiklippen, wo das Trinkfläschchen hineinsollte, der Gummikopf anstelle ihrer Faust.
    Sie streicht mit der gesunden Hand über den Puppenkopf. Sie kann ihre Fingerknochen darunter spüren, die kleinen Erhebungen und Beulen ihrer Knöchel, die verlorene Hand, verschmolzen mit dem Gummi des Puppenkopfs. Und die verlorene Hand selbst? Sie spürt die dumpfe, entfernte Berührung der guten Hand. So empfindet sie auch das Davor. Es ist da, sie kann es spüren, mit Müh und Not, ein schwacher Sinneseindruck.
    Die Augen der Puppe schließen sich klickend. Das Loch in dem kleinen Schmollmund ist bedeckt von Asche, als hätte die Puppe versucht, diese Luft zu atmen. Pressia zieht eine Wollsocke aus der Tasche und streift sie über den Puppenkopf. Wie immer, wenn sie rausgeht.
    Wenn sie trödelt, wird ihr Großvater wieder anfangen Geschichten darüber zu erzählen, was mit den Überlebenden nach den Explosionen passiert ist – blutige Kämpfe in den Gerippen gigantischer Supermärkte, verbrannte und entstellte Gestalten, die sich um Campingkocher und Fischmesser stritten.
    »Ich muss los, bevor sie die Stände zumachen«, sagt sie. Vor den nächtlichen Patrouillen. Sie geht zu ihm und küsst ihn auf die raue Wange.
    »Nur zum Markt, hörst du? Kein Rumstreunen«, sagt er, dann senkt er den Kopf und hustet in seinen Hemdsärmel.
    Sie ist fest entschlossen, ein bisschen rumzustreunen und zu plündern. Es ist ihre Lieblingsbeschäftigung, durch die Trümmer zu streifen und kleine Sachen einzusammeln, aus denen sie ihre Tierchen baut.
    »Versprochen«, sagt sie.
    Er hält immer noch den Ziegelstein, doch das kommt ihr nun traurig und verzweifelt vor, ein Eingeständnis von Schwäche. Vielleicht gelingt es ihm, den ersten Soldaten damit zu überwältigen, aber nicht den zweiten und dritten. Die OSR kommt immer im Rudel. Sie will aussprechen, was beide wissen: Es ist zwecklos. Sie kann sich in diesem Zimmer verstecken, kann in den Schränken schlafen, die falsche Rückwand herausdrücken und weglaufen, wann immer sie einen Wagen der OSR in der Seitengasse hört, aber es ist zwecklos. Es gibt keinen Ort, wohin sie fliehen könnte.
    »Bleib nicht so lange«, sagt er.
    »Keine Sorge.« Und dann, ihm zuliebe, fügt sie hinzu: »Du hast recht mit uns. Wir haben Glück.« Doch sie empfindet nicht so. Die Menschen im Kapitol haben Glück. Sie spielen ihre Spiele, essen Kuchen, gehören zusammen und fühlen sich niemals wie verloren umherwirbelnde Ascheteilchen.
    »Vergiss das nicht, mein Mädchen.« Der Ventilator in seinem Hals surrt. Er hatte einen kleinen batteriebetriebenen Ventilator in der Hand, als die Bomben fielen – es war mitten im Sommer – und jetzt ist der Ventilator mit ihm verschmolzen. Manchmal hat er Mühe zu atmen. Der Drehmechanismus verklebt immer wieder, von Asche und Speichel. Eines Tages wird er daran sterben. Asche, die seine Lungen verstopft, und der Ventilator wird stocken und stehen bleiben.
    Sie geht zur Hintertür, öffnete

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