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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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das Meer«, sagt er.
    »Ich würde gerne das Meer sehen, eines Tages«, sagt sie.
    »Hör mal.« Er hält die Glocke an ihr Ohr. Sie schließt die Augen. Gedämpftes Sonnenlicht fällt durch das Fenster. Sie kann die Wärme auf ihrer Haut spüren. Sie hört ein gedämpftes Rauschen – das Meer? »Ist das das Meer? Klingt es so?«
    »Nein, eigentlich nicht«, sagt Bradwell. »Das Geräusch des Meeres passt nicht in eine kleine Glocke.«
    Pressia öffnet die Augen und blickt durch das Fenster hinaus in den grauen Himmel. Die Luft ist erfüllt von Ruß, und dann hört sie Partridges Stimme ihre Namen rufen.
    Und sie riecht Rauch. Frischen Rauch. Irgendwas hat angefangen zu brennen.

EPILOG
     
    Sie stehen auf einem brach liegenden Feld und sehen zu, wie das Farmhaus brennt. Dünne, hell strahlende Risse erscheinen in der Fassade, überziehen das Haus wie ein Spinnennetz, dann gehen sie viel zu schnell in helle Flammen auf. Pressia vermutet, dass das Haus einen Ticker hatte und dass irgendwo im Kapitol irgendjemand einen Knopf gedrückt hat.
    Das Feuer breitet sich rasend schnell aus. Dichter Rauch und glimmende Asche steigen in den Himmel. Die Fenster bersten. Die Vorhänge flammen auf wie Fackeln. Selbst das blutverschmierte Handtuch, das Ingerships Frau draußen aufgehängt hat, ist bald verschwunden. Die sengende Hitze erinnert Pressia an Beschreibungen der Explosionen. Sonne auf Sonne auf Sonne.
    Lyda hält Partridge fest an der Hand, als hätte sie Angst, er könnte wieder davonlaufen. Oder ist er derjenige, der sie festhält und hofft, dass sie bei ihm bleibt?
    Bradwell und Pressia lehnen aneinander, dem Feuer zugewandt, wie ein Paar, das getanzt hat und sich nicht lösen kann, obwohl die Musik längst zu Ende ist.
    El Capitán hat den Wagen zurückgesetzt. Er und Helmud beobachten das Feuer durch die Scheibe. Die Soldaten stehen hinter dem Wagen, abgeschirmt von der Hitze. Ingerships Leiche liegt im Haus. El Capitán hat den Soldaten befohlen, den Toten dort liegen zu lassen. »Ein einfaches Begräbnis!«, hat er grinsend gesagt. Ingership kann sich nicht mehr wehren.
    Einzig und allein Ingerships Frau sieht weg. Illia steht mit dem Rücken zu dem flammenden Inferno und blickt hinaus auf die fernen Berge. Pressia betrachtet die Seite ihres Gesichts, vernarbt und geschwollen. Der Strumpf liegt wie ein ausgefranster Schal um ihren Hals.
    Sie sollten gehen, doch keiner von ihnen kann sich bewegen. Das Feuer hält sie an Ort und Stelle fest.
    Pressias Erinnerung an diesen Tag wird undeutlich. Sie kann jetzt schon spüren, wie sich die Einzelheiten in ihrem Kopf überschneiden, ein langsamer Verlust von Fakten, von Realität.
    Endlich ist das Haus niedergebrannt. Es schwelt nur noch. Die vordere Hälfte ist stehen geblieben. Die Haustür steht weit offen. Pressia macht ein paar Schritte in Richtung Veranda.
    »Nicht«, sagt Bradwell.
    Doch Pressia fängt an zu rennen. Sie weiß nicht, warum, doch sie hat plötzlich eine überwältigende Angst, etwas zurückzulassen, etwas zu verlieren. Gibt es noch irgendwas im Haus, das gerettet werden kann? Sie rennt die Verandastufen hinauf und in das verkohlte Foyer. Sie wendet sich in Richtung Esszimmer. Der Kronleuchter ist aus der Decke gebrochen und hat den Tisch unter sich begraben. In der Decke klafft ein schwarzes Loch, und der Leuchter sitzt auf dem Tisch wie eine gefallene Königin auf einem verrußten Thron.
    »Pressia«, kommt Bradwells Stimme von der Tür. »Pressia, wir sollten nicht hier drin sein.«
    Pressia streckt die Hand nach dem Leuchter aus. Sie berührt einen der von Asche bedeckten Kristalle. Er ist tränenförmig und noch heiß. Sie dreht ihn, bis er sich löst. Es erinnert sie an das Pflücken von Früchten von einem Baum. Hat sie jemals Früchte gepflückt als Kind? Sie schiebt den Kristall in ihre Tasche.
    »Pressia!«, sagt Bradwell sanft. »Lass uns wieder nach draußen gehen.«
    Pressia geht in die Küche, die in sich zusammengefallen ist. Im Schutt glimmen Funken. Sie dreht sich um, und Bradwell steht hinter ihr. Er packt sie bei den Schultern. »Wir müssen gehen!«
    Das ist der Moment, in dem sie das leise Klicken hören, fast wie die leisen Krallen einer Ratte auf Steinboden. Sie sehen ein schwaches Licht in den Trümmern. Ein Summen und ein rasselndes Surren. Pressia denkt an das Geräusch des Ventilators im Hals ihres Großvaters. Für einen benommenen Moment wünscht sie sich, er möge noch am Leben sein und zu ihr zurückkommen.
    Dort, wo

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