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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Jeder Stein war besetzt, und abends hockte die Jugend sogar in den Bäumen.
      Genauso begierig waren sie auf die Tonaufnahmen, besonders auf solche, die wir unbemerkt aufgenommen hatten. Ihre Gespräche, ihre Gesänge, ihr Geschrei bei dem großen Ringkampffest und ihre Klagelieder bei den Totenfeiern, das wollten sie immer wieder hören. Hunderte strömten herbei. Um eine Panik zu verhindern, mußten wir die Vorführungen einstellen.
      Eine wichtige Aufgabe war es, den Kranken zu helfen. Wir richteten einen geregelten Krankendienst ein. Am günstigsten war die Zeit nach Sonnenuntergang. Da die Nuba noch nicht an irgendwelche Medikamente gewöhnt waren, erzielten wir unglaubliche Heilungen. Kranke, denen nicht mehr zu helfen war, brachte Horst nach Kadugli ins Krankenhaus. Das führte oft zu dramatischen Szenen, da die Angehörigen sich nicht von den Kranken trennen wollten. Dies war auch der Grund, weshalb Dr. Schweitzer sein Krankenhaus in Lambarene, oft im Widerspruch zu seinen ärztlichen Kollegen, so eingerichtet hatte, daß die Angehörigen bei ihren Kranken bleiben konnten. Wie richtig er gehandelt hatte, konnten unsere Erfahrungen nur bestätigen.
      Als wir das erste Ringkampffest erlebten, fiel mir zum ersten Mal auf, daß fast alle Kämpfer bunte Hosen in allen Farben trugen, und daß viele von ihnen anstelle der hübschen Kalebassen, die sie früher als Schmuck rückwärts an ihre Gürtel gebunden hatten, Plastikflaschen, sogar leere Konservenbüchsen angehängt hatten. Auch trugen manche Sonnenbrillen. Ich war entsetzt, Horst enttäuscht. Was er auf meinen Fotos gesehen hatte, war nicht mehr vorhanden. Wir verzichteten darauf, das Fest zu filmen — es wäre um jeden Meter schade gewesen.
      Wie konnte das geschehen? Vor zwei Jahren hatte ich faszinierende Aufnahmen dieser Kämpfe gemacht. In der Freude des Wiedersehens waren mir in den ersten Tagen diese äußerlichen Veränderungen nicht aufgefallen. Noch extremer trat der Wechsel der uralten Bräuche bei einer Totenfeier in Erscheinung. Was damals so ergreifend war, wirkte jetzt eher peinlich. Die früher weiß eingeaschten, ganz unwirklich aussehenden Gestalten trugen jetzt zerlumpte, schmutzige Kleidungsstücke. Ein Anblick zum Erbarmen. Und diese äußere, unglaubliche Veränderung war auch im Alltag nicht spurlos an den Nuba vorübergegangen. Als ich mit Horst einige meiner Freunde besuchte, war ich verblüfft, bei verschiedenen Häusern die Eingänge verschlossen zu finden. Auf meine Frage, warum sie das denn machten, sagten sie: «Nuba arami» — Nuba stehlen. Ich wollte es zuerst nicht glauben. Nie hatte ich mein Gepäck abschließen müssen, was ich verlor, wurde mir jedesmal zurückgebracht. Was war der Grund einer so tiefgreifenden Veränderung? Auf Touristen konnte das nicht zurückgehen. Mit Ausnahme einer englischen Stewardeß, der es einmal gelungen war, mit ihrem Vater bis zu mir vorzudringen, waren noch keine hierhergekommen.
      Die Ursachen waren woanders zu suchen. Zweifellos hatte es damit angefangen, daß die Zivilisation in der ganzen Welt immer weiter vordrang, wie auch bei den Indianern und den Ureinwohnern Australiens. Straßen wurden gebaut, Schulen eingerichtet, und Geld kam unter die Menschen, der Anfang allen Übels. Durch Geld entstand Habgier und Neid. Das war die eine Ursache dieser gravierenden Veränderung. Eine nicht weniger verhängnisvolle war, daß sie nicht mehr nackt herumlaufen durften, sie wurden gezwungen, Kleider zu tragen. Die sudanesische Regierung hatte dies schon seit Jahren angeordnet. Als Moslems waren ihnen die «Nackten» ein Greuel. Schon vor sechs Jahren, als ich die Nuba zum ersten Mal besuchte, haben Soldaten, die mit Militärwagen durch die NubaBerge fuhren, bunte Turnhosen an die Eingeborenen verteilt. Das hat langsam diesen Wandel bewirkt. Mit dem Kleiderzwang nahm man ihnen ihre Unschuld, und sie wurden in ihren sittlichen Gefühlen verunsichert. Auch in äußerer Beziehung hatte dies schwerwiegende Folgen. War ihre Kleidung zerschlissen, mußten sie neue kaufen. Sie brauchten Seife, und um zu dem nötigen Geld zu kommen, verließen viele Nuba ihre hübschen Häuser und gingen in die Städte. Wenn sie zurückkamen, war das kindliche Lachen aus ihren Gesichtern verschwunden.
      Ich hatte das in Ostafrika erlebt. Dort war ich den Masai und Angehörigen anderer Stämme begegnet, zerlumpt und ohne Sonne in den Augen. Sie hatten ihre natürliche, so bezwingende Würde verloren. Sie

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