Memoiren 1945 - 1987
Stroh und Baumrinden benötigt wurden.
Beinahe hätten wir über der angestrengten Arbeit das Weihnachtsfest vergessen. Es ging schon auf Mitternacht, als wir unseren künstlichen Weihnachtsbaum auseinanderfalteten, ihn behängten und einige Kerzen ansteckten. Dann luden wir unsere Nuba-Freunde ein. Die Kinder beschenkten wir mit ihren geliebten Bonbons, die älteren Leute mit Tabak, für die Mädchen und Frauen gab es Perlen, und die jungen Männer waren hingerissen von den schönen Tüchern, die ich in genügend großer Anzahl mitgebracht hatte. Der Höhepunkt unseres Weihnachtsfestes aber war eine Überraschung von Horst, die Einweihung einer Dusche. Noch im allerletzten Augenblick hatte er alles besorgt, woraus man eine Dusche basteln kann: Ein Schlauch mit Duschkopf, in einem Plastikkanister befestigt, der mit einem Seil, das über eine Rolle lief, an einem Baum hochgezogen wurde. Noch in der Weihnachtsnacht probierten wir die Dusche im Schein einer Taschenlampe aus. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, sich von dem Staub befreien zu können. Den größten Spaß erlebten wir mit den Kindern. Zuerst waren sie ängstlich, aber sobald es einige der kleinen Knirpse riskiert hatten, wollten sie alle geduscht werden und schrien dabei vor Vergnügen.
Dann wurden die Wünschelruten ausprobiert. Wir gaben es bald wieder auf, da die Ruten zu oft ausschlugen und es unmöglich gewesen wäre, an so vielen Stellen zu graben. Die Nuba hatten das Graben eingestellt, nachdem sich Alipo in dem zehn Meter tiefen Loch einen Beinbruch zugezogen hatte, der zum Glück wieder geheilt war. Ich sah nur eine Lösung, der Wasserknappheit abzuhelfen: den Bau eines richtigen Brunnens.
Horst hatte sich unwahrscheinlich bewährt. Fleißig, ruhig und einfühlend, war er ein idealer Kamerad. Keine Arbeit war ihm zuviel, keine zu anstrengend, und mit jedem technischen Problem wurde er fertig.
Bald mußte uns Ursula verlassen — die Nuba hatten auch sie in ihr Herz geschlossen. Horst fuhr sie nach Kadugli. Von dort brachte der District Offizier sie nach El Obeid. Kurz nach der Rückkehr von Horst hörte ich aus der Nähe unseres Lagerplatzes Rufe. Ich sah alle Nuba aufgeregt in eine Richtung laufen, ich rannte ihnen nach und beobachtete, wie sie in ein tiefes Loch schauten, das ich vorher noch nie gesehen hatte. Es war, seit sich Alipo ein Bein gebrochen hatte, mit Ästen und Erde zugedeckt. Vor wenigen Minuten war ein Knabe von vielleicht zwölf Jahren hineingestürzt. Die Nuba riefen hinunter — keine Antwort. Sie waren hilflos, keiner von ihnen konnte in dieses über zehn Meter tiefe Loch hinuntersteigen, da die senkrechten Wände vom Regen glattgewaschen waren. Der Vater des Jungen war verzweifelt. Mein erster Gedanke war ein Seil. Ich holte es so schnell ich konnte und verständigte Horst. Wir ließen das Seil hinunter, in der Hoffnung, der Junge könnte es ergreifen und sich hochziehen lassen. Nichts rührte sich. Mir fiel mein Klettern ein. Ich legte mir das Seil an und ließ mich, während die Nuba mich entsetzt anstarrten, von Horst abseilen, bis ich zu dem Jungen kam. Er atmete noch und winselte leise vor sich hin. Ich band den Knaben an das andere Seilende fest und ließ ihn vorsichtig hochziehen. Als ich aus dem Loch kletterte, sah ich, wie der Vater dem Kind, das doch keine Schuld hatte, heftige Schläge versetzte. Das empörte mich so sehr, daß ich mich im Augenblick vergaß und dem großen Nuba-Mann rechts und links um die Ohren schlug, worauf der mich sprachlos ansah, nichts unternahm und alle Nuba beifällig nickten. Der Junge hatte eine ziemlich schwere Rückenverletzung erlitten, Horst behandelte sie, und er wurde wieder gesund. Das Brunnenloch ließ ich zuschütten.
Vor dem Beginn unserer Filmarbeit wollten wir den Nuba unsere Dias vorführen, dazu hatte ich auch 8-mm-Filme von Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton mitgebracht. Aus Leinentüchern hatten wir uns eine große Leinwand genäht, und mit Hilfe des Stromaggregats konnten wir ausreichend gutes Licht erzeugen. Die Vorführungen wurden eine Sensation. Menschen, die fast noch wie in der Steinzeit lebten, die noch nicht einmal ein Rad benutzten, sahen sich plötzlich auf der Leinwand. Die Nuba haben vor Lachen geschrien und geweint. Vor allem bei den Nahaufnahmen gerieten sie außer sich. Wie sollten sie auch begreifen, wieso sie auf dem Bildschirm so riesengroße Köpfe hatten. Schon vom frühen Morgen an saßen sie auf diesem Platz.
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