Memoiren 1945 - 1987
gehörten nicht mehr zu ihrem Stamm, und in den Städten vermehrten sie die Slum-Bevölkerung. Zu viel Ungutes hatten sie dort gesehen. Was wußten sie schon vorher von den Verbrechen und sadistischen Sex-Orgien, die sie in den Kinos sehen konnten. Wo die Schattenseiten der Zivilisation sich ausbreiten, verschwindet menschliches Glück. Nun erlebte ich das in so trauriger Weise
bei meinen Nuba.
Ich hatte diese Tragödie schon seit langem befürchtet, aber da die Nuba in so tiefer Abgeschiedenheit leben, hatte ich nicht so bald mit ihr gerechnet. Nun sah ich auch hier den Anfang dieser unheilvollen Entwicklung. Von Tag zu Tag konnte ich mehr Veränderungen feststellen. Nuba kamen zu mir und klagten, daß man ihnen etwas gestohlen hätte, ein Arbeitsgerät oder einen Topf mit Bienenhonig, der für sie rar und kostbar war. Eines Tages erzählte mir Alipo aufgeregt, das Haus seines Bruders in der Nähe der Schule von Rheika sei ausgeplündert und dann in Brand gesteckt worden. Noch vor zwei Jahren wäre das undenkbar gewesen. Es blieb nichts anderes übrig, als unsere Ausrüstung und Vorräte abzuschließen. Horst zimmerte für unsere Hütte eine primitive Tür, die mit einem Hängeschloß versehen wurde. Verließen wir sie, übernahmen ältere Nuba-Männer freiwillig die Wache.
Das alles wirkte sich auch auf unser Arbeitsprogramm aus. Es war aussichtslos, auch nur eine der verlorenen oder verdorbenen Filmaufnahmen zu wiederholen. Selbst in der Seribe konnten wir keine Nachaufnahmen machen, da die Nuba, gleichgültig ob es junge Männer oder Knaben waren, sich von ihren zerlumpten Kleiderfetzen nicht trennen wollten. Als Horst einen Jungen aufforderte, seine zerrissene Hose auszuziehen und sich, wie es früher war, einzuaschen, lächelte er verschämt und weigerte sich. Wir gaben es auf.
Tatsächlich gab es in Tadoro nur noch einen einzigen älteren Mann, der unbekleidet ging, Gabicke. Er war ein Original. Einmal kam er mit einem Wunsch zu uns. Aus einem alten Stück Stoff entnahm er umständlich zerrissene Geldscheine, die schon von Mäusen angeknabbert waren und die, wie er sagte, ihm niemand mehr abnehmen wollte. Als er sie vorsichtig auf meiner Matratze ausbreitete, stellte ich überrascht fest, es waren zwanzig sudanesische Pfund, für einen Nuba ein Vermögen. Gabicke hatte sich dieses Geld in jahrelanger schwerer Arbeit zusammengespart, indem er mehr Duragetreide als andere Nuba anbaute und den Überschuß an arabische Händler verkaufte. Seine Bitte, ihm dieses Geld gegen neue Scheine einzutauschen, konnte ich leicht erfüllen. Strahlend verließ er unsere Hütte, und als wir ihn am nächsten Morgen zur Feldarbeit gehen sahen, trug er vorn an seinem Ledergürtel einen Beutel mit seinem Geldschatz darin, damit er ihm, wie er uns erzählte, nicht gestohlen werden konnte.
Sonderbar, daß sich auch das Wetter so verändert hatte. Jedesmal, wenn ich in den Nuba-Bergen war, erlebte ich immer einen blauen Himmel, diesmal war das ganz anders. Auch wechselten Hitze und Kälte ständig. Manchmal froren wir so sehr, daß wir uns im Landrover die Heizung anstellten, und kurz darauf wurde die Hitze so unerträglich, daß wir uns in nasse Tücher wickeln mußten. Noch merkwürdiger empfand ich es, daß die klare Sicht, die ich von den Nuba-Bergen kannte, nicht mehr vorhanden war. Die Luft war dunstig, und die herrlichen Sonnenuntergänge, die Horst auf meinen Aufnahmen so bewundert hatte, erlebten wir nicht mehr. Auch die Nuba versicherten, sie hätten ein solches Wetter noch nie erlebt.
Dies erschwerte unsere Arbeit, dennoch scheuten wir keine Mühe, um Aufnahmen zu bekommen, in denen noch etwas von der Ursprünglichkeit der Nuba zu spüren war. Auf der Suche nach entferntesten Plätzen war uns kein Weg zu weit. Auch dort, wo man Verfallserscheinungen niemals vermutet hätte, erlebten wir Enttäuschungen.
Das Wetter verschlechterte sich zusehends. Eines Morgens war die Luft mit rotem Staub erfüllt, man konnte nur wenige Meter weit sehen. Eine Naturerscheinung, die es hier noch nie gegeben haben soll. Obgleich es noch nicht Mitte März war, sonst für unsere Arbeit eine ideale Zeit, könnte ein zu früh einsetzender Regen gefährlich werden.
Nun erlebten wir aufregende Wochen, in denen wir versuchten, noch einige der fehlenden Aufnahmen zu bekommen. Meist kamen wir enttäuscht zurück. Deshalb beschloß ich, nur noch im Inneren der Hütten zu filmen, in denen, mit Ausnahme einiger
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