Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Beulen, Flecke und zerbrochene Teller; sie wurde niemals böse. Ich selbst mochte diese kleinen Unbande nicht besonders gern, und sehr häufig hatte auch Zaza genug von ihnen. Wir flüchteten uns dann in Herrn Mabilles Büro, fern von allem Tumult, und unterhielten uns. Das war ein ganz neues Vergnügen. Meine Eltern sprachen zu mir, und ich sprach zu ihnen, aber nie führten wir miteinander ein Gespräch; zwischen meiner Schwester und mir bestand nicht die Distanz, die für einen Austausch unerlässlich ist. Mit Zaza führte ich richtige Unterhaltungen wie am Abend Papa mit Mama. Wir sprachen von unseren Schulaufgaben, unserer Lektüre, unseren Kameradinnen, unseren Lehrern, von dem also, was wir von der Welt kannten, nicht aber von uns selbst. Niemals arteten unsere Gespräche in Vertraulichkeit aus. Wir erlaubten uns keine allzu große Annäherung. Wir sagten einander förmlich ‹vous›, und außer am Schluss von Briefen gaben wir uns keinen Kuss.
Zaza liebte wie ich die Bücher und das Lernen; außerdem war sie mit vielen Talenten begabt, die mir fehlten. Manchmal fand ich sie, wenn ich in der Rue de Varennes schellte, damit beschäftigt, Rahmbonbons oder Karamellen herzustellen; sie steckte Orangenviertel, Datteln oder Backpflaumen auf eine Stricknadel und tauchte sie in eine Kasserolle, in der ein sirupartiges Gemenge kochte, das nach heißem Essig roch; die so zubereiteten Früchte sahen ebenso gut aus wie die beim Konditor. In einem Dutzend Exemplaren stellte sie durch Polykopie eine ‹Familienchronik› her, die sie jede Woche zu Nutz und Frommen ihrer nicht in Paris lebenden Großmütter, Onkel und Tanten herausgab; ebenso sehr wie ihre lebendige Art des Erzählens bewunderte ich ihre Geschicklichkeit, eine Sache herzustellen, die aussah wie eine wirkliche Zeitung. Sie nahm mit mir zusammen ein paar Klavierstunden, wurde aber schnell in eine höhere Abteilung eingestuft. Obwohl sie schwächlich und mit dürftigen Beinen ausgestattet war, vollführte sie nichtsdestoweniger tausend körperliche Heldenstücke; in den ersten Frühlingstagen suchte Madame Mabille mit uns einen blühenden Platz der Umgegend auf, es war Nanterre, glaube ich. Zaza schlug auf dem Grase Rad, sie machte eine Grätsche und versuchte sich in allen möglichen Arten von Purzelbäumen; sie kletterte auf die Bäume und hängte sich mit den Füßen an den Zweigen auf. In allem, was sie tat, bewies sie eine Leichtigkeit, die mich mit staunender Bewunderung erfüllte. Mit zehn Jahren lief sie mutterseelenallein auf den Straßen umher; nie nahm sie im Cours Désir meine gespreizten Manieren an; sie sprach zu den Damen dort in einem höflichen, aber unbefangenen Ton, fast von Gleich zu Gleich. Eines Tages erlaubte sie sich bei einem Klaviervorspiel eine Kühnheit, die als Skandal empfunden wurde. Der Festsaal war mit Gästen gefüllt. In der ersten Reihe erwarteten die Schülerinnen in ihren besten Kleidern, schön gelockt und frisiert, mit Schleifen im Haar, den Augenblick, in dem sie ihre Talente vorführen sollten. Hinter ihnen saßen die Lehrerinnen und Aufsichtspersonen in seidenen Taillen und weißen Handschuhen. Im Hintergrund hielten sich Eltern und Eingeladene auf. Zaza, in blauen Taft gekleidet, spielte ein Stück, das nach der Meinung ihrer Mutter zu schwer für sie war und bei dem sie gewöhnlich ein paar Takte hingehudelt hatte; diesmal führte sie sie fehlerlos aus, worauf sie Madame Mabille einen triumphierenden Blick zuwarf und ihr die Zunge herausstreckte. Die kleinen Mädchen erbebten unter ihren Locken, und strenge Ablehnung ließ das Antlitz der Damen erstarren. Als Zaza das Podium verließ, gab ihr ihre Mutter einen so vergnügten Kuss, dass niemand die Tochter zu schelten wagte. In meinen Augen wob diese kühne Tat einen Nimbus um ihr Haupt. Obwohl ich selbst mich den Gesetzen, den Klischees, den Vorurteilen unterwarf, liebte ich doch, was neu, was spontan war und von Herzen kam. Die Lebhaftigkeit und Unabhängigkeit Zazas sicherten ihr meine Ergebenheit.
Ich war mir nicht sofort darüber klar, welche Stelle diese Freundschaft in meinem Leben einnahm, da ich noch kaum geschickter als in meiner frühen Kindheit war, alles, was in mir vorging, auch deutlich zu benennen. Man hatte mich dazu erzogen, das, was sein soll, mit dem zu verwechseln, was ist; daraufhin prüfte ich nicht, was sich hinter der Konvention der Worte verbarg. Es war ausgemacht, dass ich zu meiner ganzen Familie, meine entferntesten Vettern mit
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