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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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entlehnte, las ich auch die Romane der ‹Bibliothèque de ma fille›, mit denen sich schon meine Mutter in ihrer Jugend unterhalten hatte und die ein ganzes Fach in meinem Schrank einnahmen; in La Grillère standen mir die
Veillées des Chaumières
und die Bände der Sammlung ‹Stella› zur Verfügung, an denen Madeleine sich ergötzte; Delly, Guy Chantepleure,
La Neuvaine de Colette, Mon oncle et mon curé
, solche und ähnliche tugendhaften Idyllen unterhielten mich freilich nur mit Maßen; ich fand die Heldinnen dumm, ihre Anbeter fade. Aber es gab ein Buch, in dem ich mich selbst und mein Geschick zu erkennen glaubte:
Little Women
von Louisa Alcott. Die kleinen Marchschwestern waren Protestantinnen, ihr Vater war Pastor, und als Lektüre vor dem Schlafengehen hatte ihnen ihre Mutter nicht die
Nachfolge Christi
gegeben, sondern Bunyans
Pilgerreise zur seligen Ewigkeit
; an diesem Abstand ermaß ich nur umso besser die Züge, die uns gemeinsam waren. Ich war tief gerührt, wenn ich las, wie Meg und Jo ihre armseligen, haselnussbraunen Popelinekleider anzogen, um eine Matinee zu besuchen, bei der alle anderen Kinder in Seide gekleidet waren; man lehrte sie wie mich, dass Bildung und gute Sitten mehr wert seien als Reichtum; ihr bescheidenes Heim hatte wie das meine irgendetwas Besonderes. Ich identifizierte mich leidenschaftlich mit Jo, der Intellektuellen. Jäh in ihren Bewegungen, anmutlos, suchte Jo zum Lesen die Wipfel der Bäume auf; sie war fast bubenhafter und unternehmender als ich selbst; aber ich teilte ihr Grauen vor Nähen und Hausarbeit sowie ihre Liebe zu Büchern. Sie schrieb: Um es ihr nachzutun, knüpfte ich von neuem an meine Vergangenheit an und verfasste zwei oder drei Novellen. Ich weiß nicht, ob ich davon träumte, meine alte Freundschaft mit Jacques wiederzubeleben, oder ob ich mir in unbestimmterer Weise nur wünschte, dass die Schranke fiele, die mir die Welt der Buben verschloss, jedenfalls sprachen die Beziehungen zwischen Jo und Laurie mich ganz besonders an. Ich zweifelte nicht daran, dass sie später einander heiraten würden; es war also möglich, dass die Zeit der Reife die Versprechungen der Kindheit hielt, anstatt sie zu verleugnen: Diese Idee ließ mich hoffen. Was mich aber besonders entzückte, war die entschiedene Voreingenommenheit Louisa Alcotts für Jo. Ich hasste, wie ich schon früher sagte, das herablassende Getue der Erwachsenen, mit dem sie die Kindheit nivellierten. Die Vorzüge und Fehler, welche die Schriftsteller ihren jungen Helden zuerkannten, schienen gewöhnlich Beiwerk ohne weitere Folgen zu sein; wenn sie erst groß wären, würden sie alle einmal rechtschaffene Leute werden; im Übrigen unterschieden sie sich voneinander nur durch ihr moralisches Verhalten, nicht durch ihre Intelligenz; man hätte immer meinen können, dass unter diesem Gesichtspunkt das Alter sie alle einander gleichmachte. Jo hingegen war ihren Schwestern, die ihrerseits tugendhafter oder hübscher waren, durch ihren Wissensdrang und ihren scharfen Verstand weit voraus; diese Überlegenheit, die ebenso hervorstechend war wie die gewisser Erwachsener, sicherte ihr ein außergewöhnliches Geschick; sie war gleichsam gezeichnet. Auch ich glaubte berechtigt zu sein, meine Neigung zu Büchern, meine Schulerfolge als Unterpfand einer Höherwertigkeit zu betrachten, die durch meine Zukunft Bestätigung finden würde. Ich wurde in meinen eigenen Augen eine Romanfigur. Da jede Romanintrige Schwierigkeiten und Niederlagen erfordert, erfand ich solche für mich. Eines Nachmittags spielte ich Krocket mit Poupette, Jeanne und Madeleine. Wir trugen Überschürzen aus beigefarbenem Leinen, die rot auslanguettiert und mit Kirschen bestickt waren. Die Lorbeerbüsche glänzten in der Sonne, die Erde roch gut. Plötzlich stutzte ich: Ich war gerade dabei, das erste Kapitel eines Buches zu leben, dessen Heldin ich war; diese hatte noch kaum ihre Kindheit hinter sich gebracht; aber wir würden wachsen; hübscher, anmutiger und sanfter als ich, würden meine Schwester und meine Cousinen besser als ich gefallen; sie würden Männer finden, ich nicht. Ich aber würde deswegen keine Bitterkeit verspüren, sondern ganz richtig finden, dass man ihnen vor mir den Vorzug gab; etwas jedoch würde kommen, was mich über jede Bevorzugung hinaus erhöbe; ich wusste noch nicht, in welcher Gestalt und durch wen, aber eines Tages würde ich anerkannt werden. Ich bildete mir ein, dass ein Blick bereits auf diesem

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