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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sprach in unbefangenem Ton; aber diese Unterhaltung wurde nicht fortgesetzt; niemals kam ich mit ihr auf diese Probleme zu sprechen, und sie selbst fing nie wieder davon an.
    Ich erinnere mich nicht, dass ich mich mit den Phänomenen der Schwangerschaft und Niederkunft je eingehend befasst oder sie mit meiner Zukunft in Zusammenhang gebracht habe; ich war der Ehe und Mutterschaft abgeneigt und fühlte mich von alledem nicht berührt. In anderer Hinsicht freilich verwirrte mich diese unvollständig gebliebene Aufklärung. Welche Beziehung bestand zwischen einer so ernsthaften Angelegenheit wie der Geburt eines Kindes und ‹ungehörigen› Dingen? Wenn keine bestand, weshalb ließ dann Madeleines Ton und Mamas Reserviertheit dennoch eine vermuten? Mama hatte sich nur auf unsere Anregung hin und nur summarisch darüber geäußert, ohne uns die Ehe zu erklären. Die physiologischen Tatsachen beruhen auf wissenschaftlicher Erkenntnis wie etwa die Drehung der Erde: Was hinderte sie daran, uns darüber ganz einfach zu unterrichten? Wenn aber andererseits die verbotenen Bücher nur, wie meine Cousine uns nahegelegt hatte, kecke Unanständigkeiten enthielten, woraus zogen sie dann ihr Gift? Ich stellte mir zwar nicht ausdrücklich diese Fragen, aber sie quälten mich gleichwohl. Offenbar war der Körper an sich ein gefährliches Objekt, da ja jede – ob ernsthafte, ob frivole – Anspielung auf ihn bereits gewagt zu sein schien.
    Wenn ich annahm, dass sich hinter dem Schweigen der Erwachsenen irgendetwas verberge, so behauptete ich nicht, sie machten Schwierigkeiten um nichts und wieder nichts. Über die Natur ihrer Geheimnisse jedoch hatte ich alle Illusionen verloren; sie besaßen keinen Zugang zu okkulten Sphären, in denen ein helleres Licht erstrahlte und der Horizont sich mächtiger weitete als in meiner eigenen Welt. Durch das Maß meiner Enttäuschung wurden eher das All und die Menschen auf ihre alltägliche Trivialität zurückgeführt. Ich wurde mir zwar nicht gleich darüber klar, doch das Ansehen der ‹Großen› bei mir war erheblich gesunken.
     
    Ich war gelehrt worden, Eitelkeit sei eitel und Oberflächlichkeit aller Tiefe bar: Ich hätte mich geschämt, Wert auf Äußerlichkeiten meiner Kleidung zu legen und mich lange Zeit im Spiegel zu bewundern; immerhin betrachtete ich, als die Umstände mir dazu Anlass boten, mein Bild nicht mit Unbehagen. Trotz meiner Schüchternheit strebte ich wie früher danach, eine Rolle zu spielen. Am Tage meiner feierlichen Erstkommunion war ich in Ekstase; seit langem schon mit dem heiligen Tisch vertraut, kostete ich bedenkenlos die profanen Reize dieses Festes aus. Mein Kleid, das von einer Cousine entliehen war, hatte nichts Bemerkenswertes; jedoch anstelle der klassischen Tüllhaube trug man im Cours Désir einen Kranz aus Rosen; dieses Detail wies darauf hin, dass ich nicht zur banalen Schar der Kinder der Pfarrgemeinde gehörte. Abbé Martin teilte die Hostie einer sorglich gesiebten Elite aus. Unter anderem war ich auserwählt, im Namen meiner Gefährtinnen die feierlichen Gelübde zu wiederholen, mit denen wir am Tage der Taufe dem Teufel, aller seiner Hoffart und allen seinen bösen Werken entsagt hatten. Tante Marguerite gab mir zu Ehren ein großes Mittagessen, bei dem ich den Ehrenplatz einnahm; am Nachmittag hatten wir zu Hause noch eine Teegesellschaft; ich selbst stellte auf dem Flügel meine Geschenke zur Schau. Ich wurde beglückwünscht und gebührend bewundert. Am Abend trennte ich mich mit Bedauern von meinem Staat: Um mich zu trösten, bekehrte ich mich einen Augenblick lang zur Ehe; ein Tag würde kommen, da ich mich in weißer Seide bei rauschendem Orgelspiel und im Glanz der Kerzen von neuem in eine Königin verwandeln würde.
    Im folgenden Jahre spielte ich mit großem Vergnügen die bescheidenere Rolle einer Brautjungfer. Tante Lili heiratete. Die Zeremonie vollzog sich ohne Prunk, doch meine Toilette entzückte mich. Ich liebte die seidige Schmiegsamkeit meines blauen Foulardkleides; ein schwarzes Samtband hielt meine Locken zurück, und ich trug einen weichen Hut aus ungebleichtem Stroh, mit Mohnblumen und Kornblumen darauf. Mein Partner war ein hübscher Bursche von neunzehn Jahren, der mit mir wie mit einer Erwachsenen sprach: Ich war davon überzeugt, dass er mich reizend fand.
    Ich begann mich dafür zu interessieren, wie ich künftig sein würde. Außer ernsthaften Werken und den Abenteuergeschichten, die ich aus der Leihbibliothek

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