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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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darunter litt, sich mit fünfzig Jahren noch einer ungewissen Zukunft gegenüberzusehen, wünschte für mich vor allem Sicherheit; er bestimmte mich für den Staatsdienst, der mir ein festes Gehalt und eine Pension garantierte. Jemand riet ihm zur ‹École des Chartes›. Ich holte mit meiner Mutter zusammen Rat bei einer Dame ein, die hinter den Kulissen der Sorbonne lebte und wirkte. Wir gingen durch mit Büchern vollgestellte Gänge, auf die sich Büros voller Aktenschränke öffneten. Als Kind hatte ich davon geträumt, in solchem Staub der Wissenschaft zu leben, und ich hatte den Eindruck, heute ins Allerheiligste vorzudringen. Die Dame stellte uns die Schönheiten, aber auch die Schwierigkeiten der Bibliothekarinnenlaufbahn vor Augen: Die Vorstellung, dass ich Sanskrit lernen müsse, stieß mich gründlich ab: Gelehrsamkeit reizte mich an sich nicht. Am liebsten wäre mir gewesen, ich hätte meine philosophischen Studien fortsetzen können. Ich hatte in einer Zeitschrift einen Artikel über eine Philosophin gelesen, die Mademoiselle Zanta hieß: Sie hatte den Doktor gemacht. Auf der Fotografie sah man sie mit ernstem, ruhevollem Antlitz an ihrem Schreibtisch sitzen; sie lebte mit einer jungen Nichte zusammen, die durch Adoption ihre Tochter geworden war; auf diese Weise war es ihr gelungen, das rein zerebrale Dasein mit den Forderungen des weiblichen Gefühlslebens in Einklang zu bringen. Wie gern hätte ich gesehen, man würde eines Tages über mich dergleichen ehrenvolle Dinge veröffentlichen! Damals konnte man die Frauen, die den Doktor oder das Staatsexamen für das höhere Lehramt gemacht hatten, noch an den Fingern der Hand aufzählen; ich wünschte mir, eine dieser Pionierinnen zu sein. Praktisch gesehen war die einzige Laufbahn, zu der mich meine Diplome berechtigten, die der Lehrtätigkeit; ich hatte nichts dagegen. Mein Vater lehnte einen solchen Plan ebenfalls nicht ab, er weigerte sich nur zuzulassen, dass ich Privatstunden gab. Dann würde ich also eine Stelle in einem staatlichen Lyzeum annehmen. Warum nicht? Diese Lösung kam meinen Neigungen und seinem Vorsichtssinn entgegen. Meine Mutter verständigte schüchtern die Damen, die eisige Mienen aufsetzten. Sie hatten ihr ganzes Dasein in den Dienst des Kampfes gegen die laizistische Schule gestellt und machten keinen großen Unterschied zwischen einer staatlichen Lehranstalt und einem öffentlichen Haus. Sie erklärten außerdem meiner Mutter, dass die Philosophie den Seelen unauslöschlichen Schaden zufüge: Nach einem Jahr Sorbonne würde ich meinen Glauben und meine Moral verlieren. Mama wurde daraufhin unruhig. Da das Staatsexamen in den alten Sprachen nach Papas Meinung mehr Möglichkeiten bot und auch Zaza vielleicht die Erlaubnis bekommen würde, es ebenfalls abzulegen, willigte ich ein, die Philosophie dem philologischen Studium zum Opfer zu bringen. Aber ich hielt meinen Entschluss aufrecht, in einem weltlichen Lyzeum zu lehren. Welch ein Skandal! Elf Jahre der Bemühungen, der Predigten, der unermüdlichen Belehrung: Ich aber stieß roh die Hand zurück, die mir so lange meine geistige Nahrung verabfolgt hatte! Ungerührt las ich in den Blicken meiner Erzieherinnen Kritik an meiner Undankbarkeit, meiner Unwürdigkeit, meinem Verrat: Satan hatte mich in seinen Klauen.
    Im Juli bestand ich meine Prüfung in elementarer Mathematik und in Philosophie. Bei dem Abbé hatte ich so wenig gelernt, dass meine Prüfungsarbeit, die er mit Sechzehn zensiert haben würde, nur eben eine Elf erhielt. Durch die Naturwissenschaften konnte ich kompensieren. Am Abend meines Mündlichen nahm mich mein Vater mit ins ‹Théâtre de Dix-Heures›, wo ich Dorin, Colline und Noël-Noël sah; ich amüsierte mich sehr. Wie glücklich war ich, mit dem Cours Désir nun endgültig fertig zu sein! Als ich mich aber zwei oder drei Tage darauf allein in der Wohnung befand, wurde ich von einem seltsamen Unbehagen erfasst; ich stand mitten im Vorzimmer, so verloren, als sei ich auf einen fremden Planeten versetzt. Mein Herz war tot, meine Welt völlig leer: Würde sich eine solche Leere jemals ausfüllen lassen? Ich hatte Angst. Dann aber kam die Zeit jäh wieder in Bewegung.
     
    Es gab einen Punkt, an dem meine Erziehung mich nachhaltig gezeichnet hatte: Ungeachtet meiner Lektüre blieb ich ein Unschuldsgänschen. Ich war ungefähr sechzehn Jahre alt, als eine Tante mich und meine Schwester in den Pleyel-Saal zu der Vorführung eines Reisefilms mitnahm. Da alle

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