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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Jacques, der immer kategorische Urteile fällte, erklärte: «Man muss mindestens mit ‹gut› bestehen oder überhaupt nicht bestehen.» Er sprach mir eifrig seine Glückwünsche aus. Zaza kam ebenfalls durch, aber in dieser ganzen Zeit sorgte ich mich weniger um sie als um mich.
    Clotilde und Marguerite schickten mir liebevolle Briefe; meine Mutter verdarb mir ein wenig die Freude, indem sie sie mir geöffnet übergab und mir den Inhalt angeregt erzählte; doch war der Brauch so fest verankert, dass ich keinen Einspruch erhob. Wir befanden uns damals in Valleuse in der Normandie bei ungemein rechtdenkenden Vettern. Ich mochte den allzu geleckten Besitz nicht sehr gern: Es gab keine Hohlwege, keine Wälder; Stacheldraht war rings um die Wiesen gezogen; eines Abends schlich ich mich unter der Einfriedung hindurch und streckte mich auf dem Grase aus: Eine Frau trat heran und fragte mich, ob ich krank sei. Ich begab mich zurück in den Park, aber ich erstickte darin. Da mein Vater nicht bei uns war, fanden Mama und meine Vettern sich in gleicher Frömmigkeit, sie bekannten sich zu identischen Prinzipien, ohne dass je eine Stimme diesen vollkommenen Einklang durchbrach; da sie sich mit Selbstverständlichkeit vor mir äußerten, zwangen sie mir eine Zugehörigkeit auf, gegen die ich mich nicht zu verwahren wagte, aber ich hatte den Eindruck, dass man mir Gewalt antat. Wir fuhren im Auto nach Rouen; der Nachmittag verging mit dem Besuch von Kirchen, es gab deren viele, und jede einzelne entfesselte ekstatische Begeisterung; vor den steinernen Spitzen von Saint-Maclou stieg das Entzücken zum Paroxysmus an: Welche Arbeit! Welche Feinheit! Ich schwieg. «Wie? Findest du das etwa nicht schön?», wurde ich mit Entrüstung in der Stimme gefragt. Ich fand es weder schön noch hässlich, ich empfand gar nichts dabei. Sie drangen weiter in mich, ich biss die Zähne zusammen; ich lehnte es unbedingt ab, mir mit Gewalt Worte in den Mund legen zu lassen. Aller Blicke richteten sich tadelnd auf meine widerspenstigen Lippen; Zorn und Jammer trieben mir fast Tränen in die Augen. Mein Vetter erklärte schließlich in versöhnlichem Ton, in meinem Alter neige man zum Widerspruch, und meine Qual nahm daraufhin ein Ende.
    Im Limousin fand ich wieder die Freiheit, die mir so notwendig war. Wenn ich den Tag allein oder mit meiner Schwester verbracht hatte, spielte ich gern am Abend in der Familie Mah-Jong. Ich tat die ersten Schritte in die Philosophie, indem ich
La Vie intellectuelle
von Pater Sertillangers und
La Certitude morale
von Ollé-Laprune las, die ich beide furchtbar langweilig fand.
    Mein Vater hatte nie Gefallen an Philosophie gefunden. In meiner Umgebung so gut wie in der von Zaza stand man ihr argwöhnisch gegenüber. «Wie schade! Du hast so einen netten klaren Geist, jetzt wird man dich lehren, unvernünftig zu denken!», sagte ein Onkel zu ihr. Jacques indessen hatte sich dafür interessiert. Bei mir erweckte alles Neue stets Hoffnung. Voller Ungeduld erwartete ich den Wiederbeginn des Unterrichts.
    Psychologie, Logik, Ethik, Metaphysik: Abbé Trécourt schaffte dieses Pensum in je vier Wochenstunden. Er beschränkte sich darauf, uns unsere Arbeiten wiederzugeben, uns ein ‹Corrigé› zu diktieren und uns die aus unserem Handbuch auswendig gelernten Lektionen aufsagen zu lassen. Bei jedem Problem stellte der Verfasser, der hochwürdige Pater Lahr, ein knappes Inventar der menschlichen Irrtümer auf und lehrte uns die Wahrheit nach dem hl. Thomas von Aquino. Auch der Abbé gab sich nicht mit Spitzfindigkeiten ab. Um den Idealismus zu widerlegen, hielt er den Augenschein des Berührens den möglichen Täuschungen des Gesichtssinns entgegen; er schlug auf den Tisch und erklärte: «Was ist, ist.» Die Bücher, die er uns zur Lektüre empfahl, waren nicht besonders anregend; es war
L’Attention
von Ribot,
La Psychologie des Foules
von Gustave Lebon und
Les Idées-forces
von Fouillée. Dennoch stürzte ich mich leidenschaftlich auf sie. Es waren, nunmehr von ernsthaften Leuten behandelt, Probleme, die mich seit meiner Kindheit beschäftigt hatten und die ich hier nun wiederfand; auf einmal war die Welt der Erwachsenen nichts Selbstverständliches mehr, es gab eine Kehrseite, eine Unterseite, und Zweifel schlich sich ein; wenn man noch weiter vorstieß, was blieb dann? Man stieß jedoch nicht weiter vor, aber es war ja schon etwas Außerordentliches, dass uns hier nach zwölf Jahren des Dogmatismus eine Disziplin

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