Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
sitzt sicher im Zug«, sagte Berit Spaak. »Immer mit der Ruhe. Oder er ist noch bei seinem Freund und schläft. Es ist ja erst zehn Uhr.«
»Viertel nach«, sagte Leif Grundt. »Zumindest hier oben in Sundsvall. Hast du die Telefonnummer von diesem Freund?«
»Nein, tut mir leid. Aber er ist ein Arbeitskollege aus dem Laden. Er heißt wahrscheinlich Oskar.«
»Er heißt wahrscheinlich Oskar! Bist du nicht ganz gescheit, Berit? Du musst doch wissen, bei wem er übernachtet. Ich habe jetzt seit mehr als einer Stunde versucht, ihn übers Handy zu erreichen …«
»Wahrscheinlich ist der Akku leer. Warum regst du dich so auf, Leif? Wenn du so besorgt um ihn bist, dann wäre es wohl das Beste gewesen, ihn die ganze Zeit in Sundsvall zu behalten. Kristoffer ist fünfzehn Jahre alt und hat mich gefragt, ob er die letzte Nacht bei einem Freund in Uppsala schlafen darf. Das ist doch wohl nichts, worüber man sich aufregen muss?«
»Mir hat er von diesen Plänen nichts erzählt.«
»Nein. Ja, das ist dann wohl dein Problem, nicht meins.«
»Danke schön. Kapierst du nicht, dass ich mir Sorgen mache? Ich will doch … ich will doch eigentlich nur wissen, wann er heute Nachmittag ankommt, damit ich ihn am Bahnhof abholen kann.«
»Vielleicht sitzt er ja schon im Zug. Wie gesagt. Du weißt doch selbst, wie schwer es sein kann, aus dem Zug anzurufen? Übrigens, wie geht es Ebba?«
Leif Grundt berichtete, dass es um Ebba immer noch so ziemlich unverändert stand, und legte den Hörer auf. Anschließend stand er vom Schreibtischstuhl auf, blieb dann aber stehen. Stimmte das eigentlich?, fragte er sich. Stand es um Ebba wirklich immer noch so ziemlich unverändert?
Gute Frage. Noch eine gute Frage.
Gab es überhaupt irgendetwas, das wie früher war?
Auf jeden Fall war Ebba der Grund gewesen, dass er Berit angerufen und nach Kristoffer gefragt hatte, und er wusste auch, dass seine Irritation hauptsächlich ihn selbst betraf. Das wusste er nur zu gut, genau wie Berit es ihm erklärt hatte.
Denn genau betrachtet … genau betrachtet stimmte es nicht ganz, was er da seiner Cousine gesagt hatte. Es war genaugenommen umgekehrt. Er machte sich keine Sorgen um Kristoffer, das war gerade das Problem. Er war nicht mehr fähig, sich Sorgen zu machen. Die Pflicht, sich um andere zu kümmern, war aus ihm herausgeronnen wie das Wasser aus einer Minipute. Ganz plötzlich. Alles in einem Schwung, so fühlte es sich an. Plötzlich war es irgendwie nicht mehr möglich, es im Griff zu behalten, die Gedanken in normalen Bahnen fließen zu lassen, Dinge zu erledigen … weiterzuleben in dieser unerträglichen, scheuernden Gewöhnlichkeit … nicht mit einem verschwundenen Sohn und einer Ehefrau, die auf dem Weg ins Dunkel war.
Aber dann, gestern Abend, hatte diese dunkle Ehefrau angerufen und erklärt, sie mache sich Sorgen um Kristoffer und sie wolle mit ihm sprechen. Leif hatte geantwortet, dass dieser sich momentan zu einer Praktikumswoche in Uppsala befinde, und Ebba hatte ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass der Junge umgehend wieder nach Hause komme. Er hatte eine Weile mit ihr diskutiert und ihr schließlich so halbwegs versprochen, dass... ja, er wusste selbst nicht so recht, was eigentlich. Kristoffer anzurufen und jedenfalls mit ihm zu sprechen. Ihn zumindest ein wenig zu kontrollieren.
Und das hatte er den restlichen gestrigen Abend auch versucht. In regelmäßigem Abstand und ohne Ergebnis. Außerdem hatte er mehrere Male versucht, mit Cousine Berit telefonisch in Kontakt zu kommen, sowohl über ihre Festnetznummer als auch über ihr Handy, aber auch das vergebens.
Letzteres lag daran, dass sie sich zusammen mit Ingegerd auf einer Party bei einer Nachbarin befunden hatte, wie sich am nächsten Morgen herausstellte. Sie waren nicht vor zwölf Uhr zu Hause gewesen.
Das Handy? Wieso sollte sie ihr Handy mit zu einem Fest bei einer Nachbarin nehmen? Ingegerd hatte doch den ganzen Abend neben ihr gesessen.
Leif Grundts Nachtschlaf war nicht gut gewesen. Er blieb im Arbeitszimmer eine Weile stehen, während er sein Bild im Spiegel betrachtete und genau das feststellte. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, dachte er. Dieser graue, verfettete Typ da sieht aus wie mindestens zweiundfünfzig.
Er zuckte mit den Schultern und wählte Kristoffers Handynummer.
Keine Antwort.
Gunnar Barbarotti beschloss, nicht das Telefon zu benutzen.
Zumindest nicht, solange es sich vermeiden ließ. Er beschloss außerdem, keinen Kontakt mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher