Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
verwickelt. Infernally complicated. Waren diese Norweger immer so umständlich in ihren Geschäften? Waren sie es nicht gewohnt, am Verhandlungstisch zu sitzen? Überall nur staatliche Verordnungen. Aber wie dem auch sei, darüber konnte er Jakob zu einem späteren Zeitpunkt informieren. Jetzt war die Lage so, dass er noch einen ganzen Tag in Oslo bleiben musste, um dann am Donnerstag direkt die Maschine nach Paris zu nehmen. Das Gespräch, das sie verabredet hatten, war einfach nicht mehr dazwischenzuschieben. Ob sie sich stattdessen Anfang Januar treffen könnten? In Stockholm, of course, er musste nur über den Atlantik, Weihnachten und Silvester erst noch in Vermont feiern – aber dann, so um den fünften, sechsten Januar herum, was hielt Jakob davon?
Du aufgeblasener, amerikanischer Harvardschwuler, dachte Jakob.
»Ja, natürlich«, sagte er. »Dem steht nichts im Wege.«
Jefferson bedankte sich, erklärte noch einmal, dass er terribly, terribly sorry sei, wünschte schöne Weihnachten und legte den Hörer auf.
Jakob Willnius fluchte und schaute auf die Uhr. Es war Viertel vor zwei. Er schob das Handy wieder in die Brusttasche seines Jacketts. Warf einen Blick auf die Benzinuhr und stellte fest, dass der Tank nur noch knapp zu einem Viertel voll war.
Es lagen mindestens noch drei Stunden Autofahrt nach Stockholm vor ihm, eingedenk der Straßenlage wohl eher dreieinhalb. Plötzlich fühlte er sich müde.
Wenn er umkehrte, konnte er in einer guten Stunde zu seiner Ehefrau ins Bett schlüpfen.
In dem Moment, als ihm der Gedanke kam – und bevor er einen Entschluss fassen konnte -, tauchte eine geöffnete Tankstelle auf. Er bog von der Straße ab. Auf jeden Fall musste er tanken und eine Tasse Kaffee trinken.
Ich rufe sie an und frage, was sie davon hält, dachte er. Und wenn sie genauso drauf ist wie gestern, dann wird sie nicht nein sagen.
Aber als er sein Handy aus der Brusttasche herausfischen wollte, stießen seine Finger auf den Hotelschlüssel, den er vergessen hatte, an der Rezeption des Kymlinge Hotels abzugeben. Warum sie nicht einfach überraschen?
Er stieg aus dem Wagen und füllte 98-Oktan-Super, hochpotentes Benzin in den Tank.
Ja, warum nicht? Sich leise wie ein Dieb in der Nacht ins Zimmer schleichen, aus den Kleidern schälen und hinter ihren warmen Rücken ins Bett kriechen.
»Fuck you, Mister Bigmouth Shit-talking Jefferson«, brummte Jakob Willnius, als die Pumpe fertiggetickt hatte. Ging in den Laden, bezahlte das Benzin und holte sich einen doppelten Espresso aus dem Automaten. Dann setzte er sich wieder ins Auto und lenkte das Fahrzeug zurück nach Kymlinge.
14
A ls Rosemarie Wunderlich Hermansson am Mittwoch, dem 21. Dezember, aufwachte, zeigte die Uhr ein paar Minuten nach sechs, und ihr schossen zwei klare Gedanken durch den Kopf.
Walter ist tot.
Heute Nachmittag werden wir das Haus los.
Aber keine Vögel. Und keine Sprechblasen. Sie blieb noch eine Weile im Bett liegen und starrte in die Dunkelheit, die sie umgab, während sie Karl-Eriks gleichmäßigen Atemzügen lauschte und versuchte, diese Gedanken abzuwägen. Ihren Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Den ersten wagte sie nicht länger als einen möglichst kurzen Moment des Eintauchens festzuhalten. Walter tot? Er kam heran, und sie schob ihn von sich. Er kam zurück, sie schob ihn weg. Vielleicht lag er ja oben in seinem Bett? Vielleicht war er im Laufe der Nacht zurückgekommen? Sie beschloss, nicht hochzugehen, um nachzusehen. Denn wenn er nicht dort lag, wenn er tatsächlich seit zwei Nächten und einem Tag verschwunden war, dann konnte das nur bedeuten … nein, das war zu viel.
Dagegen der andere Gedanke. Das Haus. Heute Nachmittag um vier Uhr sollten sie in Lundgrens Büro in der Bank sitzen. Nun ja. Sie sollten auf seinen birkenfurnierten Bürostühlen sitzen und ihr Leben verkaufen. Sie und Karl-Erik. Achtunddreißig Jahre lang hatten sie in diesem Haus gewohnt. Ebba war zwei gewesen, als sie hier einzogen, Walter und Kristina waren hier geboren worden. Und sie hatten fast vierzig Jahre in Kymlinge gelebt. Hier habe ich mein Dasein, dachte sie. Hier ist mein Zuhause. Was soll jetzt aus mir werden? Soll ich nie wieder draußen in der Laube sitzen und die ersten Kartoffeln des Jahres essen? Werde ich nie mehr erleben, wie der Pflaumenbaum, den wir vor sechs Jahren gepflanzt haben, Früchte trägt? Werde ich … werde ich auf einem weißen Plastikstuhl auf einem kahlen Berg sitzen und dem Tod begegnen? Unter
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