Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
wirklich wissen wollte. Und wenn Linda jetzt stinksauer war und ihn zum Teufel wünschte? In dem Fall konnte er gern noch ein paar Tage mit der Nachricht warten. Wenn er länger darüber nachdachte, erschien es ihm dumm, Henrik unter Druck zu setzen. Dumm, überheblich zu sein und anzudeuten, man habe einen ungeahnten Trumpf in der Hand. Den konnte er sicher irgendwann in der Zukunft noch gebrauchen. Denn damit Linda es schaffen könnte, auf eine neue SMS zu antworten, musste er ja das Handy seines Bruders behalten. Und das war wohl ein wenig zu viel des Guten. Es war halb ein Uhr nachts; wenn sie jetzt die Nachricht bekam, würde sie sicher nicht vor morgen früh antworten. Und selbst wenn die Antwort schon in dieser Nacht einträfe, konnte er ja wohl kaum Henrik bitten, ihm das Telefon zu überlassen, jetzt, wo er sich bald auf den Weg zu Jens machen wollte.
Jens? Um den ging es ja wohl, oder?
Wer sonst sollte es sein? Kristoffer betrachtete verstohlen seinen Bruder, der soeben ins HZdW trat, und fragte sich, ob er vielleicht noch weitere Geheimnisse in sich trug. Vielleicht war es ja trotz allem nur ein alter Kumpel, den er treffen wollte, und er hatte nur behauptet, es sei ein Mädchen, um den Bruder ein wenig hochzunehmen? Das war nicht ausgeschlossen.
Ist mir auch egal, beschloss Kristoffer. Und sein Telefon ist mir auch egal.
Aber er bereute es, nicht gefragt zu haben, ob er es nicht den Tag über hätte haben können. Oder das von sonst jemandem. Kristinas oder das seines Opas beispielsweise. Weder sein Vater noch seine Mutter hatten ihres mitgenommen; Papa Leif, weil er Handys verabscheute (auch wenn er einsah, dass er gezwungen war, sie bei der Arbeit zu benutzen), Mama Ebba, weil sie die zehn täglichen Anrufe von Kollegen vermeiden wollte, die nicht wussten, was sie tun sollten, wenn sie operieren mussten.
Denn es wäre doch schön, hier zu liegen und zu wissen, dass Linda sich nach mir sehnt, dachte Kristoffer. Richtig schön.
Henrik kroch in T-Shirt, Unterhose und Strümpfen ins Bett.
»Wann willst du los?«, fragte Kristoffer.
»Das lass mal meine Sorge sein«, sagte Henrik. »Hauptsache, du hältst die Klappe. Und vielleicht wird ja auch gar nichts draus.«
»Woher willst du erfahren, ob es was wird?«
»Lieber Kristoffer. Jetzt schlaf schön und denk an was anderes. Wenn ich abhaue, dann frühestens in einer halben Stunde.«
Kristoffer löschte sein Licht und dachte eine Weile nach.
»Okay, Brüderchen«, sagte er. »Dann hab so oder so viel Spaß. Du kannst dich auf mich verlassen.«
»Danke, ich werde dir das nicht vergessen«, sagte Henrik und machte auch sein Licht aus.
Das klingt nicht schlecht, fand Kristoffer. Dass Henrik ihm dankte. Das pflegte er nur äußerst selten zu tun – ehrlich gesagt, gab es dazu auch nur selten einen Grund, aber jetzt gab es ihn ja. Ich muss auf jeden Fall heimlich wach bleiben, um mitzukriegen, ob er nun abhaut oder nicht, dachte Kristoffer und drehte das viel zu große und viel zu harte Kopfkissen um.
Doch als Henrik Grundt zwanzig Minuten später vorsichtig aus der Tür tappte, war Kristoffer Grundt bereits eingeschlafen und träumte, er fahre Tandem zusammen mit Linda Granberg. Sie saß vorn, er hinten; ihr nackter Hintern rutschte und tanzte vor seinen Augen hin und her, und das Leben war einfach herrlich.
»Da stimmt was nicht mit Henrik«, sagte Ebba. »Ich spüre es.«
»Henrik?«, murmelte Leif von seiner schmalen Hälfte des Bettes her. »Meinst du nicht Kristoffer?«
»Nein«, widersprach Ebba. »Wenn ich Henrik sage, dann meine ich Henrik.«
»Daran tust du gut«, sagte Leif. »Und was soll mit ihm sein?«
»Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas stimmt da nicht. Er ist nicht mehr wie früher. Ich frage mich, ob in Uppsala irgendetwas passiert ist, über das er nicht sprechen will. Ist dir nicht aufgefallen, dass … ja, dass da etwas ist?«
»Nein«, antwortete Leif wahrheitsgetreu. »Das ist leider an mir vorbeigegangen. Aber ich habe mitgekriegt, dass Walter aus der Spur geraten ist.«
Das wurde mit Schweigen aufgenommen, und Leif überlegte kurz, ob es sich lohnen würde, eine Hand auf ihrer Hüfte zu platzieren. Er nahm es nicht an. Sie war fast vollkommen nüchtern und außerdem verärgert. Er selbst war ein wenig betrunken und ein wenig müde.
Und sie hatten sich schon einmal geliebt im Dezember.
»Sollen wir das Licht anmachen?«, fragte er, ohne selbst zu wissen, warum er ausgerechnet diese Frage stellte. Um ein Licht
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