Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Spaniens glühender Sonne. Ist das der Sinn von allem? Ist es dieses Schicksal, das Gott für mich ausersehen hat?
Und was hat er sich gedacht, was ich mitnehmen soll? Meine dreiundsechzig weggeworfenen, dahinbröckelnden Jahre? Meinen Fernkurs in flämischer Stickerei? Mein Adressbuch, damit ich jede Woche meinen drei … na gut, vier … Freundinnen eine Ansichtskarte schreiben kann und ihnen von dem blauen Poolwasser, dem blauen Meereswasser und den weißen Plastikstühlen berichten kann?
Nein, dachte Rosemarie Wunderlich Hermansson. Ich will nicht.
Aber es war nur ganz leise in ihr zu hören, dieses Nein. So unverbesserlich leise und jämmerlich. Woher sollte sie die Kraft schöpfen, sich in dieser Sache gegen Karl-Erik zu behaupten? Und wo? Wo sollte sie ihre Widerstandspfosten einrammen?
Widerstandspfosten? Was um alles in der Welt sollte das sein? So ein Wort gab es doch gar nicht … aber wenn Walter tot ist, dachte sie plötzlich. Wenn Walter wirklich tot ist, dann konnten sie doch nicht einfach zur Bank gehen und ihr Leben unter solchen Umständen abschreiben …?
Sie stand auf. Plötzlich wütend auf sich selbst. Warum sollte Walter tot sein? Was waren das für lächerliche rabenschwarze Prophezeiungen, denen sie hier verfiel? Und es war auch noch so schrecklich typisch, oder etwa nicht? Als die Kinder noch klein waren, hatten sie immer Gedanken geplagt, sie könnten umkommen. Vor einen Bus geraten, in einen Graben fallen oder von tollwutkranken Hunden zu Tode gebissen werden. Walter war fünfunddreißig Jahre alt, er konnte auf sich selbst aufpassen. Und war er nicht eigentlich den größten Teil seines Lebens fort gewesen? Das war doch seine Spezialität, wenn man ehrlich sein wollte. Jetzt hielt er sich schon wieder seit einigen Tagen verborgen, aus welchem Grund auch immer, was sollte denn daran so Besonderes sein? Und warum sollte sie hingehen, sich bei diesem gestreiften Lundgren hinsetzen und ihr Leben wie eine dumme Gans abschreiben? Warum nicht … warum nicht ihrer tyrannischen Pädagogenfichte erklären, er könne seine Tasche packen und allein nach Andalusien ziehen? Oder was immer er nun wollte. Ganz einfach.
Sie dagegen gedachte dort zu bleiben, wo sie hingehörte. In der Allvädersgatan in Kymlinge, Schweden. Fahr du doch an die Rentnerküste und bilde dir ein, dass du dich von den anderen sonnenverbrannten Alten unterscheidest! Das maurische und jüdische Erbe erforschen? Blödsinn, dachte Rosemarie Wunderlich Hermansson. Gelaber. Karl-Erik Telefonmast!
Sie ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Und während sie dort saß, die Ellbogen auf den Küchentisch gestützt, und darauf wartete, dass die Maschine fertig geblubbert hatte, sackten Mut und Tatkraft in ihr wie ein Stein in einen Brunnen.
Wie üblich. Ganz genau wie immer.
Verdammt, ich bin doch nur eine feige Gans, dachte sie. Eine dreiundsechzigjährige alberne Kuh ohne jede Aufgabe, die sie zu erfüllen hätte.
Außer der, mir Sorgen zu machen. Dunkle Alltagsprophezeiungen zu spinnen und auf die nächste Enttäuschung zu warten.
Kleine Unglücksfälle und große Unglücksfälle. Vielleicht wurde ja eines Tages das Unglück groß geschrieben. Walter? War er derjenige, der die düstere Prophezeiung in Erfüllung gehen lassen sollte?
Der Tod? Ja, sie hatte das Gefühl, als lauere diese dunkle Gestalt hier irgendwo im Trüben. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber nicht der eigene Tod. Der bekümmerte sie nicht die Bohne. Ich bin viel zu unbedeutend, als dass der Tod sich um mich kümmern würde, dachte sie resigniert. Ich werde bis ans Ende der Zeit wie eine schrumpfende Wollmaus leben.
Der Kaffee war fertig.
Das Haus schlief noch. Noch waren die kleinen Unglücke nicht aufgewacht.
Und die großen auch nicht.
»Nein, liebe Mama«, sagte Ebba Hermansson Grundt, »wir wollen wirklich nicht mehr mittagessen, bevor wir losfahren. Wir haben mehr als sechshundertfünfzig Kilometer zu fahren, wir essen unterwegs was. Wir brauchen nur ein ganz normales Frühstück.«
»Aber, ich dachte …«, versuchte Rosemarie einzuwenden.
»Ich werde Leif und die Jungs in einer halben Stunde wecken. Was Männer nur für eine Fähigkeit haben zu schlafen, findest du nicht auch, Mama?«
»Ich habe alles gehört«, sagte Papa Karl-Erik, der an der Küchenanrichte stand und sich sein Frühstücksmüsli mischte. »Alles Vorurteile, mein Mädchen. Vergiss nicht, dass der Wecker von einem Mann erfunden wurde. Von Oscar William Willingstone
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