Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Leute dachten und meinten. Kristoffer wünschte sich, er würde eines Tages selbst soweit kommen. Dass man sein eigenes Schicksal und seine eigenen Handlungen bestimmte und nicht mehr abhängig war von … ja, von Mama, kurz gesagt.
Denn so war es ja. Nicht des Vaters wegen hatte Henrik ihn gebeten, über seine nächtlichen Eskapaden zu schweigen, das war schon einmal klar. Papa Leif hatte auf Kristoffers eigene Regelverletzung am Samstag genauso reagiert, wie es ein guter Vater tun sollte. Er war wütend gewesen und hatte ihn ermahnt, sich doch verdammt noch mal zusammenzureißen und zu überlegen, was er da tat – ihn aber nicht mit jeder Menge Schuldgefühlen überhäuft. So sollte es zwischen Eltern und Kindern laufen. Schlicht und einfach, kein Herumgerede. Eine reelle Ermahnung und anschließend wieder Friede, Freude, Eierkuchen.
Aber wie er reagieren würde, wenn er herausbekäme, dass Henrik homosexuell war, ja, das war ein anderer Walzer, wie er immer zu sagen pflegte. Ein ganz anderer Walzer.
Dachte Kristoffer und drehte den Wasserhahn zu. Hörte dann, wie es an die Tür klopfte.
»Henrik?« Das war Mama.
»Nein, ich bin es, Kristoffer.«
»Gut, dass ihr schon auf seid. Kommt runter zum frühstücken, wenn ihr soweit seid.«
»Ja, natürlich«, antwortete Kristoffer und begann sein Gesicht im Spiegel zu inspizieren. Nicht mehr als vier, fünf Pickel. Wenn man bedachte, wie viel Schokolade er in den letzten Tagen in sich hineingestopft hatte, gab es allen Grund, zufrieden zu sein. Wenn er sich heute und morgen zurückhielt, würde er richtig präsentabel sein an Birgers Kiosk …
»Rosemarie, wir müssen versuchen, ein wenig realistisch zu sein«, erklärte Karl-Erik in seiner emphatischen, oberlehrerhaften Langsamkeit, die bedeutete, dass er die Absicht hegte, die kommende Mitteilung zu wiederholen. »Es gibt nichts, was dafür spricht, dass Walter etwas passiert sein soll. Sowohl du als auch ich … und Ebba … kennen seinen Charakter. Ich brauche da nicht ins Detail zu gehen. Wahrscheinlich fühlte er sich von der Umgebung hier ein wenig unter Druck gesetzt … vielleicht hat er sich geschämt, um es beim Namen zu nennen … und das nur zu Recht. Und dann hat ihn irgendein alter Kontakt hier aus der Stadt angerufen. Rud … wie hieß dieser Schulfreund noch? Rudström?«
»Rundström«, sagte Rosemarie. »Er ist vor vielen Jahren nach Gotland gezogen. Aber warum hat er uns dann nichts gesagt? Das ist es, was mich so beunruhigt, Karl-Erik. Walter würde doch nicht einfach so …?«
»Weil er sich schämt«, stellte ihr Ehegatte entschlossen fest. »Wie schon gesagt. Und er hat ja keinen wirklich triftigen Grund, einfach wegzubleiben. Was hätte er also sagen sollen?«
»Aber warum ist er dann überhaupt erst gekommen? Und sein Auto steht ja draußen … total eingeschneit.«
»Er braucht das Auto nicht«, erklärte Karl-Erik geduldig. »Wahrscheinlich wird er heute Nachmittag kommen und es abholen, wenn er weiß, dass alle anderen abgefahren sind. Ich begreife wirklich nicht, warum du Himmel und Hölle in Bewegung setzen musst, nur wegen dieser Bagatelle. Wirklich nicht, Rosemarie. Walter ist deine Aufmerksamkeit nicht wert.«
Kristoffer kam in die Küche und wünschte allen gut erzogen einen guten Morgen. Karl-Erik brach ab und schien zu zweifeln, inwieweit es angemessen war für die Ohren eines Vierzehnjährigen, die Diskussion über den moralisch Verdorbenen mit anzuhören. Offensichtlich war dem so, denn er fuhr fort.
»Mit anderen Worten, Rosemarie, erzähl mir doch bitte, was du dir einbildest, was unserem verlorenen Sohn denn zugestoßen sein soll?«
Kristoffer setzte sich an den Tisch. Rosemarie schaute Ebba an, um irgendeine Form von Unterstützung zu bekommen, konnte aber nicht so richtig entscheiden, ob sie die nun bekam oder nicht. Und schließlich war Ebba ja trotz allem Karl-Eriks Tochter, wie sie sich erinnerte. Das durfte man in aller Eile nicht vergessen.
»Alles, was ich will«, sagte sie schließlich, »ist, dass du die Polizei anrufst … und das Krankenhaus … und einmal nachfragst.«
»Dann glaubst du also, sie würden uns nicht informieren, wenn er dort irgendwo gelandet wäre?«
»Nicht, wenn er …«
»Selbst Walter muss ja wohl irgendeine Form von Ausweis bei sich haben«, fuhr Karl-Erik fort. »Und wenn er das nicht hat, ja, dann ist es doch wohl anzunehmen, dass er trotzdem wiedererkannt wird. Oder etwa nicht?«
Rosemarie antwortete nicht. Ebba
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