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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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sitzen und seiner Mutter geradewegs ins Gesicht lügen musste, nur um seines Bruders willen! Das hätte er sich vor ein paar Tagen kaum träumen lassen.
    Aber er würde es tun, ohne mit der Wimper zu zucken und bis zum letzten Schweißtropfen, so viel war klar. Wie gesagt. Trotzdem musste er darüber nachdenken, was zum Teufel Henrik vorgehabt hatte – und nachdem er das eine Weile in dem grünen Zimmer auf dem Bett liegend getan hatte, spürte er ein ziemlich unangenehmes Gefühl im Zwerchfell.
    Etwas erschreckend und etwas – ja, tatsächlich, etwas traurig. Was geschieht da mit dir, Henrik, mein Bruder?, dachte Kristoffer. Er starrte an die Tapete, doch dort stand wie erwartet keine Antwort geschrieben.
     
    »Kristoffer, wir müssen versuchen, das hier zu klären, darin sind wir uns doch wohl einig, oder?«
    »Ja«, sagte Kristoffer.
    »Henrik ist nicht hier, und wir wissen nicht, wo er ist.«
    Kristoffer versuchte zu nicken und gleichzeitig den Kopf zu schütteln, alles, umso entgegenkommend wie möglich zu erscheinen.
    »Es hat ja wohl den Anschein, dass er heute Morgen ganz früh aufgebrochen ist, oder …?«
    Kristoffer fügte die fehlenden Worte nicht ein.
    »… irgendwann heute Nacht«, ergänzte Ebba.
    »Ja, ich weiß es nicht«, sagte Kristoffer. »Ich habe nichts bemerkt, weder heute Nacht noch heute Morgen. Ich fürchte, ich habe ziemlich fest geschlafen.«
    Mama Ebba versuchte ihn mit ihren stahlblauen Augen zu durchlöchern, aber er fand selbst, dass er ihrem Blick erstaunlich locker standhielt. Er saß dieses Mal nicht auf der Anklagebank, und das machte die Sache einfacher. Bedeutend einfacher.
    »Er hat dir nichts erzählt?«
    »Was denn?«
    »Ich weiß nicht, Kristoffer. Über irgendwelche Pläne, für ein paar Stunden wegzugehen, beispielsweise?«
    »Nein«, sagte Kristoffer. »So etwas hat er nicht gesagt.«
    »Sicher?«
    »Ja, natürlich.«
    »Aber ich muss sagen, du …«
    »Ja?«
    »Du wirkst gar nicht verwundert darüber, dass er nicht hier ist.«
    »Was?«
    »Du wirkst gar nicht verwundert, und das ist doch etwas merkwürdig, wie ich finde … ich versuche zu verstehen, was das bedeutet.«
    Das war ein Angriff mit stark übertriebener Anspielung, und er parierte ihn auf die einzig mögliche Art und Weise. »Nicht verwundert? Jetzt kapiere ich nicht, wovon du redest. Ich habe keine Ahnung, wohin Henrik ist, und bin genauso verwundert darüber wie alle anderen.«
    Sie zögerte eine Sekunde, dann zog sie sich zurück. »In Ordnung, Kristoffer. Ich glaube dir. Aber wenn du einmal nachdenkst, gibt es wirklich nichts, was er gesagt hat … oder nur angedeutet hat … das uns einen Hinweis darauf geben könnte, wo er steckt? Ihr müsst doch jede Menge miteinander geredet haben.«
    Kristoffer biss sich auf die Unterlippe und simulierte eine Weile heftiges Nachdenken. »Nein«, erklärte er dann. »Nein, Mama, mir fällt nichts ein.«
    »Findest du, dass Henrik in den Tagen hier wie immer war? Ich meine, ihr habt euch ja den ganzen Herbst über nicht gesehen. Du hattest nicht das Gefühl, dass er … ja, dass er sich in irgendeiner Weise verändert hat?«
    Bingo, liebste Mama, dachte Kristoffer. Wenn du wüsstest, wie sehr sich dein kleiner Goldschatz verändert hat, würde dich der Schlag treffen und du würdest einen Blutsturz kriegen. Und irgendwann, dachte er weiter, irgendwann, hoffe ich, dass ich mich traue, solche Sachen zu sagen, statt sie nur zu denken.
    »Nun ja …«, sagte er. »Ich glaube nicht. Aber er kommt bestimmt bald zurück und wird alles erklären. Vielleicht hat er geglaubt, dass wir erst nach Mittag fahren oder so … vielleicht ist er nur los, Weihnachtsgeschenke kaufen?«
    Ebba schien diese Idee ernsthaft in Erwägung zu ziehen, bevor sie ihn erneut mit ihren stahlblauen Augen fixierte. Aber er wich nicht einen Millimeter.
    »Worüber habt ihr gestern Abend geredet?«
    Das geht Sie gar nichts an, Frau Staatsanwältin, formulierte er in seinem Kopf. »Über nichts Besonderes«, kam aus seinem Mund. »Er hat nur ein bisschen von Uppsala erzählt.«
    »Ach, ja? Und was hat er über Uppsala gesagt?«
    »Dass es Spaß macht, dort zu studieren. Aber auch ziemlich viel Arbeit bedeutet.«
    »Hat er von Jenny erzählt?«
    Kristoffer dachte nach.
    »Er hat sie wohl erwähnt. Aber nur so im Vorangehen.«
    »Im Vorübergehen.«
    »Was?«
    »Im Vorübergehen. Du hast gesagt im Vorangehen.«
    »Entschuldige.«
    »Ja, das spielt ja keine Rolle. Und sonst noch etwas?«
    »Worüber wir

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