Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
geredet haben?«
»Ja.«
»Wir haben noch ein bisschen über Onkel Walter geredet.«
»Wirklich? Und zu welchem Schluss seid ihr gekommen, was ihn betrifft?«
»Zu gar keinem«, sagte Kristoffer. »Außer dass er etwas sonderbar erscheint.«
»Ja, das ist wohl wahr«, murmelte Ebba. »Ja, im Augenblick bin ich eigentlich auch nicht sehr interessiert an eurer Meinung über meinen Bruder. Aber wenn dir noch etwas zu Henrik einfällt, dann möchte ich nicht – und Papa auch nicht... oder Oma oder Opa … dass du damit hinterm Berg hältst.«
»Warum sollte ich damit hinterm Berg halten?«, fragte Kristoffer mit einer Empörung in der Stimme, die fast echt klang. »Ich möchte auch weg hier. Wenn ich etwas wüsste, würde ich es natürlich sofort sagen.«
Sie machte eine letzte, kurze Pause.
»Gut, Kristoffer«, sagte sie dann. »Ich vertraue dir.«
Anschließend verließ sie das Zimmer.
Trottel-Henrik, dachte Kristoffer, als sie die Tür geschlossen hatte. Wo zum Teufel treibst du dich herum?
Er schaute auf die Uhr. Es war eine Minute vor zwölf.
Um zwei Uhr hatte es wieder zu schneien begonnen, und im Hermanssonschen Haus hatte man das Mittagessen beendet. Griebenwurst mit Kartoffelmus. Normalerweise Karl-Eriks absolutes Lieblingsgericht, doch an diesem Tag erschien es vollkommen fehl am Platze. Niemand aß mit größerem Appetit, und das angespannte Schweigen, das am Esstisch geherrscht hatte, folgte dem Kaffee und Schmalzgebäck im Wohnzimmer. Kristoffer trank keinen Kaffee, dafür einen Weihnachtsmost, und währenddessen versuchte er insgeheim die stummen Gesichtsausdrücke der Erwachsenen zu studieren: den seiner Mutter und seines Vaters, seiner Großmutter und seines Großvaters. Er fragte sich, was wohl hinter ihren Stirnknochen vor sich ging. Wahrscheinlich eine ganze Menge. Irritation, Unruhe. Befürchtungen, Frustration, you name it. Alle Fragen, die gestellt werden konnten, waren bereits gestellt worden, und niemand schien bereit zu sein, sie noch einmal zu wiederholen. Alle denkbaren Vermutungen waren ausgesprochen worden und alle Spekulationen spekuliert. Das Auto stand gepackt und reisebereit auf der Garageneinfahrt, es gab da nur das kleine Problem, dass ein Passagier fehlte.
Was noch niemand in Worte gefasst hatte, dachte Kristoffer, das war die Angst. Die wirklich düsteren Befürchtungen schienen noch tabu zu sein, und hier begann er zu spüren, dass sein Vorsprung den anderen gegenüber zu schrumpfen begann. Zwar wusste er, was er wusste: Henrik hatte sich irgendwann im Laufe der Nacht zu einem heimlichen Rendezvous davongeschlichen – möglicherweise zu einem unbekannten Liebhaber namens Jens (obwohl Kristoffer in diesem Punkt eine zunehmende Unsicherheit verspürte) -, aber warum um Himmels willen war er nicht im Laufe des Morgens oder des Nachmittags zurückgekehrt, ja, das war eine Frage, die mit jeder Minute, die verging, größer und unbegreiflicher wurde.
Henrik war verschwunden. Walter war verschwunden. Das hier ist ja wohl verdammt noch mal das Merkwürdigste, was ich je erlebt habe, dachte Kristoffer Grundt.
»Es ist jetzt fünf Minuten nach zwei«, sagte Rosemarie Wunderlich Hermansson, als könnte diese Information irgendein Licht auf die dunklen Fragen werfen. Aber das Einzige, was geschah: Eine Blutader in Karl-Eriks Schläfe begann sich wie ein Wurm zu winden. Das hatte sie im Laufe des Tages bereits ein paar Mal getan. Kristoffer hatte es beobachtet und begriffen, was es bedeutete: dass der Großvater verärgert oder aufgebracht war über irgendetwas. Etwas Merkwürdiges war auch mit seinem Augenlid passiert, es hing über dem einen Auge und ließ ihn ein wenig beschwipst aussehen, wie Kristoffer fand. Und er war sich ziemlich sicher, dass dem nicht so war.
Bei Leif, seinem Vater, wiederum hingen beide Augenlider herunter, und Kristoffer nahm an, dass er kurz davor war, einzuschlafen. Er war in der letzten halben Stunde ungewöhnlich schweigsam gewesen, es hatte den Anschein gehabt, dass er weit entfernt davon war, eine irgendwie tragkräftige Theorie über das Verschwinden seines prächtigen – und bis dato fast unfehlbaren – Sohnes zu haben.
Mama Ebba schaute verkniffen drein, als konzentrierte sie sich vor einer Operation, die komplizierter zu werden schien, als eigentlich erlaubt war. Oder als säße sie da und arbeitete an der neuen, paradoxen Gleichung Henrik im Kopf, und könnte einfach nicht auf die Lösung kommen, obwohl sie diese Aufgabe doch
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