Menschen minus X
flüsterte er der Mutter zu: „Onkel Mitch wollte heute abend auf dem Raketenlandeplatz der City eintreffen, er hatte vor, die Sechs-Uhr-Rakete vom Mond zu benutzen. Nun wird er wohl nie mehr kommen? Oder?“
Die Mutter blieb stumm. Sie schüttelte nur den Kopf, und in ihrem Ausdruck mischten sich Entsetzen und tiefe Trauer.
Und was war mit Dad? Er hätte von seinem Inspektionsflug zu den Quarzbergwerken doch längst zurück sein müssen. Merkwürdig, dachte Eddie, daß mir das erst jetzt einfällt. Das kommt, weil ich mir angewöhnt habe, Dad für unverletzlich zu halten.
Nun begann Regen zu fallen, ein strömender, reißender Regen. Die jähe Hitze hatte alle Feuchtigkeit in aufsteigenden Dampf verwandelt, der nun, in großer Höhe kondensiert, als Regen zur Erde zurückgerauscht kam. Vielleicht ein Helfer, der das Gift fortwusch, das die radioaktiven Meteoriten und der radioaktive Staub über die Erde verbreitet hatten, jene versprengten Bruchstücke und Partikel, die wenige Stunden zuvor noch Teile des Mondes gewesen waren.
Von irgendwoher klang durch das Prasseln des Regensturmes leise und beharrlich das Schlagen einer Turmuhr – zehn. Kurz danach brachte ein Ambulanzwagen, was von Jack Dukas übriggeblieben war.
Um vier Uhr morgens war Ed immer noch auf den Beinen. Der Rettungstrupp hatte vor kurzem das Haus verlassen. In öffentlichen Gebäuden und in großen Zelten eingerichtete Nothospitale hatten, da die vorhandenen Krankenhäuser natürlich nicht ausreichten, auch die letzten Verwundeten aufgenommen. Niemand war mehr unversorgt. Aber es gab viel mehr Tote als Verwundete. Jeder, der sich im Augenblick der Katastrophe mehr als einen Schritt außerhalb irgendeines Schutzes befunden hatte, stand auf der endlosen Totenliste. Der halbe Planet war von sengender Hitze und tödlichen Strahlen verheert worden.
Während draußen die Wachroboter mit ihren Raupenfahrzeugen durch den Regen rasselten, sank Eddie in völliger Erschöpfung auf den Fußboden des Wohnzimmers nieder. Seine Mutter richtete die bequeme Doppelcouch her, die zum Sensipsychprojektor gehörte, bettete ihren Sohn auf die eine Hälfte und legte sich selbst auf die andere.
Eddie schlief sehr fest. Von dem dreckbespritzten Fahrzeug, das noch vor Morgengrauen in der Nähe des Hauses anhielt, merkte er nichts. Er merkte auch nichts davon, daß eine Gestalt sich durch die Schatten zur Haustür stahl, dort vorsichtig klopfte und nach kurzem Warten um das Haus herum zur Verandatür huschte, deren Schloß sie mit geschickten Fingern öffnete. Daß dann zwei oder drei große Handkoffer ins Haus gebracht wurden, merkte Eddie ebensowenig.
Erst als ihn eine kleine feste Hand an der Schulter rüttelte, wurde er wach. Die Stehlampe neben der Couch brannte, die Mutter hatte sich aufgesetzt und starrte fassungslos auf die schmale, ramponierte Gestalt, die neben Eddie stand – Onkel Mitch!
Seine linke Wange und sein Kinn waren zerschrammt, Schmutz bedeckte seine Hände, sein Anzug und sein Mantel waren zerrissen. Der gewohnte muntere Ausdruck seiner Augen wurde von Kummer, Schmerz und wachsamer Vorsicht überschattet. „Hallo, Eileen!“ sagte er. „He, Schlingel!“
Er erhielt keine Antwort.
„Ja – ich bin am Leben geblieben, Eileen“, fuhr er fort. „Unsere Rakete hatte schon den größten Teil des Weges hinter sich, als die Explosion erfolgte. Der Pilot konnte den Aufprall der Druckwelle ausmanövrieren. So kamen wir durch, wenn auch mit einem Umweg um die ganze Erde herum. Nach der letzten Warnmeldung vom Mond, die wir auffingen, vermute ich, daß das Durcheinander in einer der tief im Mondesinnern gelegenen Zurüstungswerften zum Ausbruch gekommen ist. Hitze und Druck sind offenbar eine geraume Weile von den enormen Sicherheitsvorrichtungen aufgehalten und komprimiert worden. Als es dann zur Entladung kam, stand dem Explosionsschub die ganze Masse des Mondes im Wege. Und der Schub war stärker. Nach unseren Berechnungen hätte es eigentlich gar nicht passieren können – jede mögliche Explosion hätte sich von Rechts wegen ohne weitere mittelbare Schäden anzurichten, nach der von der Erde abgekehrten Seite in den Raum entladen und dort verpuffen müssen. Aber anscheinend haben sich die freiwerdenden Energien durch Mondatome so gewaltig verstärkt, daß sie alles zerrissen.“
Wiederum Schweigen. Mitchell Prell blickte seine Schwester fragend an, doch ihre Augen blieben kalt und abweisend auf ihn gerichtet, und kein Wort kam über
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