Menschenhafen
nicht viel zu besprechen gegeben. Der einzige Plan, auf den man sich einigen konnte, war bereits in die Tat umgesetzt worden: Lasse und Karl-Erik zu beaufsichtigen und abzuwarten, wie sich das Ganze entwickelte. Sie zog ihre guten Stiefel aus und massierte ihre Füße, die nach den Fußmärschen durch Norrtälje schmerzten. »Tut mir leid, dass es mit den anderen so gelaufen ist«, sagte sie. »Sie werden sich mit der Zeit schon noch daran gewöhnen.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Simon und setzte sich. »Hast du ihnen von Elin erzählt?«
»Wie sollte das gehen?«
»Nee. Schon klar.«
Anna-Greta legte ihre Füße in Simons Schoß, und Simon knetete sie gedankenverloren. Die Hände waren wieder da, ein selbstverständlicher Teil seines Körpers.
Zauberei. Heimlichtuer.
Das alles war wie ein Zaubertrick. Ein Effekt, bei dem man die Oberfläche sah, die einem fantastisch erschien, aber hinter dem Ganzen steckte eine Mechanik, die im Grunde ganz simpel war, wenn man sie nur verstand. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Simon hätte zu gerne sein altes Talent auf diesen speziellen Effekt angewandt und die Geheimfächer, die heimlichen Bewegungen gefunden. Vielleicht war ja alles so selbstverständlich wie ein unsichtbarer Faden oder ein doppelter Boden, wenn man ihn schließlich zu Gesicht bekam. Aber er sah ihn nicht.
»Eins verstehe ich nicht«, sagte Anna-Greta und wackelte mit den Zehen, die leise knackten. »Elin. Anders. Karl-Erik. Lasse. Lina. Warum ausgerechnet sie? Warum gerade sie ?«
»Es gibt vieles, was ich nicht verstehe. Unter anderem auch das. Wo sind die Fäden?«
Verstecken
Als Anders den Wecker zu fassen bekam und es ihm mit schlaftrunkenem Blick gelungen war, die Stellung der Zeiger zu deuten, traute er seinen Augen nicht. Es war zwanzig vor sieben. Dem Licht im Freien nach zu urteilen, war es Morgen, nicht Abend. Also hatte er nicht viel mehr als eine Viertelstunde geschlafen, obwohl er todmüde gewesen war.
Er drehte sich auf den Rücken und presste die Uhr gegen die Brust. Es war kaum zu glauben, aber er fühlte sich so ausgeschlafen, wie er es schon sehr lange nicht mehr gewesen war. Sein Körper war weich und sein Gehirn leer, entspannt. Es kam ihm vor, als hätte er ewig …
Moment mal …
Es gab natürlich auch noch eine andere Möglichkeit. Dass er vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte und es Samstag war. Er schloss die Augen, die bereits zum Leben erwacht waren und keine Lust hatten, sich wieder zu schließen. Er war ausgeschlafen. Es gab keine andere Erklärung als die, dass er eine Viertelstunde plus vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte.
Oder achtundvierzig. Oder zweiundsiebzig. Oder …
Er musste dringend auf Toilette, seine Blase drückte wie eine Geschwulst. Trotzdem stand er nicht auf. Es war so unbeschreiblich schön, im Bett zu liegen und sich warm und ausgeruht zu fühlen. Seit er nach Domarö gekommen war, hatte er keine ruhige Nacht mehr gehabt. Jetzt hatte er sein Schlafdefizit auf einen Schlag ausgeglichen. Er zog die Knie an und drehte sich zur Wand, wo er einen alten Bekannten fand.
Tino Tatz .
Die große Tino-Tatz-Puppe war Majas Liebling gewesen, wenn sie auf Domarö waren. Sie hatte die Puppe nicht in die Stadt mitnehmen wollen, nein, Tino Tatz gehörte zu Domarö und sollte hierbleiben und auf sie warten, bis sie das nächste Mal auf die Insel kam.
Anders streichelte die blaue Filzmütze, die großen Augen, die Knöpfe auf der Trägerhose.
»Hallo, Tino Tatz.«
Er fühlte sich so ruhig . Gestern oder vorgestern hätten seine Gedanken wahrscheinlich begonnen, sich hochzuschaukeln, wären ihm auf der Jagd nach einer Erklärung dafür durch den Kopf geschossen, dass Tino Tatz neben ihm lag, obwohl er unter dem Bett gelegen hatte, als Anders schlafen gegangen war.
Jetzt jedoch nicht. Null. Hier war Tino Tatz. Wie nett.
Außerdem wusste er ja mittlerweile, was los war. Er selbst hatte Tino Tatz herausgesucht, oder vielmehr: Sein Körper hatte es getan. Maja hatte Tino Tatz neben sich haben wollen, wenn sie schlief, und Anders dazu benutzt, ihren Willen in die Tat umzusetzen.
»Guten Morgen, Liebling.«
Er lauschte auf eine Antwort in seinem Inneren, aber es kam keine. Auch das war okay. Er fand zwar, dass er etwas spüren und einen Ort in sich finden müsste, der sie war, hatte jedoch nicht vor, dies jetzt zu ergründen. Es war okay, so wie es war, mit Tino Tatz und allem anderen. Sie war da.
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Erinnerst
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