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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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du dich an das hier?« Er räusperte den Morgenschleim aus der Kehle und sang leise Majas Version des Tino-Tatz-Lieds:
    »Hallo Tino, stärkster von allen
    Aber er prügelt sich zu gern
    Donnerhonig, Großmutters Donnerhonig
    Frisst er, wenn er sich prügeln will.«
    Es war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen, mit Liedern und Begriffen, mit Sprache zu spielen. Vor allem, die Dinge … nun ja, schlechter zu machen. Oft fing es mit einem Versprecher an, den sie anschließend weiterentwickelte.
    Zu ihren Lieblingswortspielen hatte gehörte, aus »Weihnacht« das Wort »Schreinacht« zu machen. Man schenkte sich Schreinachtsgeschenke, stellte den Schreinachtsbaum auf und vor Weihnachten saß man zusammen und bastelte allerhand Schreinachtsschmuck. Dann kam der Schreinachtsmann.
    Es brannte in Anders’ Unterleib, und er runzelte die Stirn. Er erinnerte sich, dass sie fast schon manisch verschiedene Dinge heruntergeleiert hatte, in denen Schreinacht vorkam. Schreinachtsmusik und Schreinachtsstimmung. Die eigene Textzeile, die sie dem Lied »Ich sah Mama den Weihnachtsmann küssen« hinzugefügt hatte und die darauf hinauslief, dass der Vater hereinkam und den Schreinachtsmann erschlug.
    Ich halte es nicht mehr aus.
    Anders warf sich herum, glitt aus dem Bett und eilte gehockt und im Laufschritt zur Toilette, wo er vermutlich einen neuen Rekord im Langpinkeln aufstellte. Sein Körper war gereinigt, belastbar, zu jeder Schandtat bereit. Er betätigte die Spülung, und Elin kam ihm in den Sinn. Die Haare, von denen sie umweht wurde, als sie in der Tiefe versank …
    Genug!
    Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und stillte seinen Durst. Er würde nicht mehr daran denken. Nie wieder. Es war vorbei, es war vorbei, es war Teil der Vergangenheit. Er hatte das Gefühl, an diesem Morgen einen neuen Körper und ein neues Gehirn geschenkt bekommen zu haben. Er hatte nicht vor, sich damit in Dingen zu suhlen, die sich nicht ändern ließen. Genug davon.
    Er hatte einen Mordshunger und verdrückte am Kühlschrank stehend drei Scheiben Knäckebrot mit Fischrogenpaste, während das Wasser durch die Kaffeemaschine lief. Er kaute und kaute, und es knirschte in seinem Schädel, während er aus dem Fenster sah und ihm auffiel, dass die Förde voller Möwen war. Er hatte keine Angst.
    Ich habe keine Angst.
    Er kaute sich durch das letzte Brot und studierte die Bewegungen der Möwen, die mit den Strömungen trieben, die aufstiegen und aufleuchteten, wenn das Licht der tief stehenden Sonne sie einfing und die Vögel anschließend wieder auf dem Wasser landeten.
    Ich habe keine Angst.
    Er hatte so lange mit mal größerer, mal schwächerer Angst und Furcht gelebt, dass es zu seinem Normalzustand geworden war, der nun jedoch verschwunden war. Jetzt gab es nur die Förde, den blauen Himmel, die Möwen und seinen eigenen, furchtlosen Körper, der alles in herbstliches Licht getaucht sah.
    Es war wunderbar.
    Er wandte sich vom Fenster ab, und sein Blick fiel auf die Stiftplatte. Er riss die Augen auf, ging zu ihr und strich mit der Hand über die glatte Fläche, die mittlerweile größer war als die genoppte. Es war gebastelt und gebastelt worden …
    Ich habe gebastelt
    … während er schlief. Große Mengen blauer Perlen waren gesteckt worden, und der große weiße Fleck in der Mitte war fertig, umsäumt von Blau, und hatte Gesellschaft von einem anderen kleinen Fleck schräg links oben bekommen.
    Während er das unverständliche Bild betrachtete, begann ein Gedanke Gestalt anzunehmen, aber noch ehe er konkret werden konnte, fiel ihm der Zettel ins Auge.
    »Anna-Greta und ich heiraten am Sonntag um zwei Uhr in Nåten. Wir würden uns freuen, wenn du kommst. Simon.«
    Unter dem Namen folgte ein PS., und als Anders es gelesen hatte, schlug er sich gegen die Stirn und rief: »Du Idiot! Na klar!!« Er studierte aufs Neue die Stiftplatte und konnte nicht begreifen, dass er es nicht sofort erkannt hatte.
    »PS. Ist das nicht eine Seekarte?«
    Das Blaue war Meer, der große weiße Fleck in der Mitte war Domarö, und der kleinere Fleck war Gåvasten. Es war eine plumpe Abbildung, und im Unterschied zu einer normalen Seekarte waren Hell und Dunkel vertauscht, aber er fand trotzdem, dass er es längst hätte sehen müssen, spätestens jedoch, als Domarö allmählich Gestalt annahm.
    Es war eine Offenbarung, so als würde man sagen: Endlich passt alles zusammen, der Groschen ist gefallen, der Nebel lichtet sich . Anders war berauscht von

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