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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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der Entdeckung und klatschte vor lauter Begeisterung in die Hände, hielt jedoch mitten im Klatschen inne. Er starrte die Stiftplatte an.
    Es ist eine Seekarte. So so? Na und?
    Was er vor Augen hatte, war eine rudimentäre Seekarte, auf der Domarö, Kattholmen und Gåvasten markiert waren und Ledinge langsam Konturen bekam.
    Na und?
    Sie sah aus wie eine ganz normale, nur etwas schlechter ausgeführte Seekarte. Eine normale Seekarte hatte er im Bücherregal. Was sollte er mit dieser? Was konnte sie ihm mitteilen, das er nicht schon wusste?
    »Warum tust du das? Warum hast du diese … Schreinachtskarte gemacht?«
    Er wurde von jäher Wut und dem intensiven Wunsch gepackt, den ganzen Mist wegzuwerfen, und hatte sogar schon beide Hände nach der Platte ausgestreckt, als er sich bremste. Er sah seine Hände an, griff mit der einen nach der anderen und schüttelte sie.
    Ihm fiel eins seiner eigenen Wortspiele ein. Bei Maja war es kein großer Erfolg gewesen, aber er hatte es lustig gefunden, in verschiedenen Ausdrücken »Hand« gegen »Hund« auszutau schen. Jemanden am Hund halten. Gib mir deinen Hund, ich bin dein rechter Hund. Und sein Favorit. Er betrachtete seine Hände und sprach den Satz laut aus: »Der eine Hund weiß nicht, was der andere tut.«
    So ist es.
    Er ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. Dieser Jähzorn war nicht seine Wut gewesen, Maja war es gewesen, die sich früher immer so maßlos über jede Kleinigkeit aufgeregt hatte. Wie über die Socken am Tag ihres Verschwindens. Jetzt hatte sie sich, durch ihn, über die Seekarte aufgeregt. So wie sie sich gefreut hatte, als sie sah, dass es eine Seekarte war .
    Nein. Doch.
    Er beugte sich erneut über die Stiftplatte. Wenn sie die Seekarte gebastelt hatte, konnte sie sich wohl kaum über die Entdeckung freuen. Und außerdem … wie sollte Maja mit Perlen eine Seekarte basteln können? Er hatte ihr die Karte zwar bestimmt einmal gezeigt, wenn sie mit dem Boot unterwegs waren, aber es war völlig ausgeschlossen, dass sie ein … Abbild von ihr erschaffen konnte.
    Das konnte nur er. Also hatte er selbst die Karte unbewusst gebastelt, und sie hatte …
    Er legte das Gesicht in die Hände.
    Der eine Hund weiß nicht, was der andere tut.
    Wenn sie ihm eine Nachricht übermitteln wollte, warum tat sie es dann so kompliziert und zeitraubend? Warum schrieb sie nicht einfach oder sagte ihm, was gesagt werden musste?
    Weil der eine Hund nicht weiß, was der andere tut.
    Und außerdem …
    Anders atmete tief ein und hielt die Luft an, horchte nach innen und nach außen. Da war nichts. Keiner sah ihn, keiner war hinter ihm her. Im Moment. Trotzdem waren sie da.
    Du darfst auch nicht hier sein, kleine Maja. Dich holen wir auch noch.
    Es war Vorsicht geboten. Wenn man sich zu viel zeigte, sahen sie einen. Das war bei Elin passiert. Also musste man vor sichtig sein. Die Sache Schritt für Schritt angehen und tunlichst vermeiden, dass man entdeckt wurde.
    Beim Versteckspiel war Maja gut gewesen. Fast schon zu gut. Hatte sie erst einmal ein gutes Versteck gefunden, blieb sie ewig darin. Nicht einmal, wenn die anderen aufgaben und nach ihr riefen, kam sie heraus. Man musste sie immer finden.
    Im letzten Sommer hatten sie ihr Verstecken mit Freischlagen beigebracht, und dabei war es genauso gewesen. War sie sonst immer extrem ungeduldig, kannte ihre Geduld bei Spielen keine Grenzen. Sie hockte weit entfernt in ihrem Versteck, bis die Wachsamkeit des Suchenden nachließ und er in die andere Richtung ging. Dann lief sie los und schlug sich frei. Sie wartete ewig.
    Anders goss sich eine Tasse Kaffee ein, trank sie langsam und systematisch und sah vor seinem inneren Auge das heiße, leicht giftige Gebräu durch ihn hindurchlaufen und nochmals die Kanäle reinigen. Seine Gedanken wurden wieder wirr, und das wollte er nicht.
    Er betrachtete das Meer, den Himmel, die Möwen und konzentrierte sich auf die Wärme in Hals, Brust, Magen.
    Das funktionierte halbwegs, woraufhin er sich die Stiftplatte noch einmal mit einigermaßen klaren Augen ansah. Wenn es so war, wie er vermutete, dass Maja Verstecken spielte und es darauf ankam, nicht entdeckt zu werden, musste es trotzdem einen Grund, eine Blechdose geben, gegen die man treten konnte.
    Er ging seine Seekarte holen und verglich sie mit der Stiftplatte. Die Abstände und Proportionen stimmten im Großen und Ganzen. Die Inseln waren zu viereckig geraten, aber die Formen entsprachen in etwa der Wirklichkeit. Es gab keine

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