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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sprechen?«
    Die Erledigungen im Einwohnermeldeamt und beim Goldschmied hatten Simons Gedanken von den grauenhaften Bildern des Morgens abgelenkt, und er hätte sich diesen Zustand seligen Vergessens gerne noch etwas länger erhalten. Anna-Greta hob abwehrend die Hände, um zu signalisieren, dass sie nicht vorhatte, näher darauf einzugehen, atmete tief durch und sagte: »Vor langer Zeit. Als ich mit Waren unterwegs war. Im Krieg. Habe ich etwas erlebt, von dem ich dir … nie erzählt habe.«
    Simon musste keine Fragen stellen. Die Voraussetzungen hatten sich geändert. Er war jetzt einer der Wissenden, einer, dem man Dinge erzählen konnte. Auf seinem Stuhl mit der senkrechten Rückenlehne lehnte er sich so gut wie es ging zurück, während Anna-Greta weitersprach.
    »Ich durfte die Marine ja manchmal begleiten, weil ich … beliebt war. Eigentlich waren Zivilisten an Bord nicht erlaubt, aber ich kannte mich in den Schären aus und deshalb …« Anna-Greta blickte auf und runzelte die Augenbrauen. »Was grinst du denn so?«
    Simon wedelte mit der Hand. »Nein, schon gut. Nichts. Nur ein Wort. Kutterperle .«
    »Ich war keine Kutterperle! Ich kannte jeden einzelnen …«
    »Ja, ja. Aber es gab bestimmt andere, die sich noch besser auskannten als du. Aber leider nicht so hübsch waren.«
    Anna-Greta holte Luft, hielt dann jedoch inne und sah Simon misstrauisch an. »Bist du etwa eifersüchtig ?«, fragte sie. »Sitzt du mir hier sechzig Jahre später gegenüber und bist eifersüchtig ?«
    Simon dachte nach. »Tja, jetzt, wo du es sagst.«
    Anna-Greta musterte Simon und schüttelte den Kopf über seine Verrücktheit.
    »Sie überlegten, Minen zu legen. In Richtung Ledinge. Weil die große Fahrrinne nach Stockholm dort verläuft. Und ich habe sie auf einer ihrer … Erkundungsfahrten begleitet, auf denen sie Tauchgänge machten, um die Verhältnisse am Meeresgrund zu untersuchen. Sie waren erst kurze Zeit vorher dazu übergegangen, moderne Taucherausrüstungen mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken zu benutzen. Aber da die Sicht im Wasser schlecht war und man den Geräten noch nicht recht traute, benutzte man eine Sicherheitsleine, die am Taucher befestigt wurde.«
    Anna-Greta nickte in sich hinein und zeigte vage mit dem Finger ins Leere, als wäre ihr soeben etwas eingefallen. »Ich glaube, deshalb bin ich mitgekommen. Weil ich sehen wollte, wie das mit dem Tauchen ablief.«
    Simon lag ein ausgesprochen witziger Kommentar auf der Zunge, aber er schluckte ihn herunter, und Anna-Greta sprach weiter:
    »Der Taucher ist runtergegangen, und die Leine lief von einer Trommel auf dem Schiff. Das hatte etwas Hypnotisches. Den Taucher sah man ja nicht, man konnte nur diese Trommel anschauen, die klackte, wenn sie sich drehte und die Leine laufen ließ, während er tiefer ging. Und dann … stoppte sie. Die Leine rollte sich nicht weiter ab, als ob er den Grund erreicht hätte. Aber das konnte nicht sein, weil erst sieben oder acht Meter Leine abgerollt waren und das Meer an dieser Stelle mindestens dreißig Meter tief war. Die Leine rührte sich eine ganze Weile nicht, und ich dachte mir, dass er eine neue Untiefe gefunden haben musste. Ich habe sogar überlegt, welchen Namen sie bekommen würde, ob sie überhaupt einen Namen bekommen würde. Und dann …«
    Anna-Greta wedelte mit der Hand, sodass sie eine schnelle Kreisbewegung beschrieb.
    »… dann fing die Leine wieder an zu laufen. Aber schneller als vorher. Viel schneller. Zehn Meter, fünfzehn Meter, zwanzig, fünfundzwanzig. Und es klackte nicht mehr in der Trommel, es … ratterte. Dann erhöhte sich das Tempo, bis man nur noch ein Surren hörte. Dreißig, vierzig, fünfzig Meter. In wenigen Sekunden. Als würde er nicht durch Wasser sinken, sondern durch Luft fallen. Man konnte nichts tun. Jemand versuchte, die Leine zu packen, und verbrannte sich die Handflächen. Dann rollte sie sich komplett ab, weitere dreißig Meter, wurde von der Trommel gerissen und verschwand im gleichen Tempo im Wasser.
    Anna-Greta trank einen Schluck Fanta und räusperte sich.
    »So ist das damals gewesen. Und deshalb möchte ich, dass du vorsichtig bist.«
    Sie stellte ihr Glas ab und ergänzte: »Sie mussten sich natürlich eine Erklärung einfallen lassen. Also kamen sie zu dem Schluss, dass er an einem U-Boot hängen geblieben war. Däm lich, aber wahr. Er wurde nie gefunden. Aber das hast du dir vielleicht schon gedacht.«
    Simon musterte sie, als sie sich mit der Serviette

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