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Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von ihnen hatten ihre Kameras dabei, und Richards entspannte sich.
    »An der Straßensperre haben sie nur auf die Luftkappen geschossen«, sagte sie ruhig. »Es war ein Versehen. Ja, genau das war’s, ein Versehen.«
    »Wenn diese Made auf eine Luftkappe gezielt hat, als er unsere Windschutzscheibe rausgeblasen hat, dann muss das Visier an seiner Pistole einen Meter zu hoch eingestellt sein.«
    »Es war ein Versehen!«
    Sie kamen jetzt durch weitläufige Wohnviertel, die vermutlich schon zu Rockland gehörten. Sommerhäuser und unbefestigte Straßen, die von der Straße zu Häusern am Strand hinunterführten. Breeze Inn. Privatstraße. Just Me’n Patty. Betreten verboten. Elisabeth’s Rest. Auf Unbefugte wird geschossen. Cloud-Hi. Vorsicht, Starkstrom, 5000 Volt. Set-A-Spell. Vorsicht, bissige Hunde!
    Klatschsüchtige Gesichter mit Augen, in denen krankhafte Neugier lag, spähten hinter Bäumen hervor wie Grinse-Katzen. Durch die zersprungene Windschutzscheibe konnten sie das Geplärr batteriebetriebener Free-Vees hören.
    Irgendwie lag über allem eine verrückte, unheimliche Karnevalsatmosphäre.
    »Diese Leute da«, sagte Richards, »wollen nur jemanden bluten sehen. Je mehr Blut, desto besser. Dabei ist es ihnen vollkommen egal, ob es uns beide trifft. Können Sie sich das vorstellen?«
    »Nein.«
    »Dann gratuliere ich Ihnen.«
    Ein älterer Herr mit einem dichten silbernen Haarschopf und in Madras-Shorts, die ihm bis weit über die Knie reichten, rannte mit seiner Kamera zum Straßenrand. Es war ein monströses Gerät mit einem kobraartigen Teleobjektiv. Er fing an, wie wild Fotos zu schießen, mal kniend, dann wieder auf seinen Beinen stehend, die so blass waren wie ein Fischbauch. Richards lachte plötzlich schallend auf, sodass Amelia erschrocken zusammenzuckte.
    »Was …«
    »Er hat immer noch die Schutzkappe vor der Linse«, sagte Richards. »Er hat immer noch …«, aber er konnte vor Lachen nicht weitersprechen.
    An den Straßenrändern stauten sich die Autos, während sie einen lang gestreckten Hügel hinaufkrochen und dann in die Innenstadt von Rockland hinunterfuhren. Vielleicht war es früher mal ein malerisches Fischerdorf gewesen, in dem sich von Winslow Homer gemalte Männer in gelben Öljacken und hüfthohen Gummistiefeln mit kleinen Booten auf die See hinausgewagt hatten, um den listigen Hummer zu fangen. Aber falls das so war, war es schon lange her. Auf jeder Straßenseite stand ein riesiges Einkaufszentrum. Die Hauptstraße war von Jazzschuppen, Bars und Auto-Slot-Warenhäusern gesäumt. Im höher gelegenen Teil der Stadt standen adrette kleine Mittelklassehäuser, die von ihrer Warte aus das wachsende Slumviertel überblickten, das vom übel riechenden Strand nach oben schaute. Nur am Horizont war das Meer noch unverändert. Es glitzerte blau und alterslos in der späten Nachmittagssonne, deren Strahlen ein tanzendes Lichternetz aufs Wasser warfen.
    Sie fuhren hinab, und am Fuß des Hügels standen zwei Polizeiwagen quer auf der Straße. Ihre flackernden Blaulichter warfen ein bizarres Muster auf die Straße. Sie blinkten nicht im Takt. Im rechten Winkel zum Straßenrand stand ein gepanzerter Wagen mit einem kurzen, gedrungenen Kanonenrohr, das genau auf sie zielte.
    »Jetzt können Sie einpacken«, sagte sie leise, beinahe bedauernd. »Muss ich jetzt auch sterben?«
    »Halten Sie fünfzig Meter vor der Straßensperre und ziehen Sie Ihre Show ab«, antwortete er und rutschte in den Sitz hinunter. Er hatte plötzlich ein nervöses Zucken in der Wange.
    Sie hielt an und öffnete die Fahrertür, lehnte sich aber nicht hinaus. Draußen war es totenstill. Stille senkt sich über die Menge, dachte Richards sarkastisch.
    »Ich habe Angst«, sagte sie. »Bitte, ich habe solche Angst.«
    »Sie werden nicht auf Sie schießen«, sagte er. »Es sind viel zu viele Leute da. Sie können keine Geisel töten, wenn so viele Zuschauer ihnen dabei zusehen. Das sind nun mal die Spielregeln.«
    Sie sah ihn unsicher an, und plötzlich wünschte er sich, mit ihr eine Tasse Kaffee trinken zu können. Er würde ihrem Geplauder zuhören und dabei echte Sahne in seinen schwarzen Kaffee rühren – natürlich auf ihre Rechnung. Dann könnten sie über das Vorkommen sozialer Ungerechtigkeit diskutieren und darüber, dass einem die Socken immer herunterrutschen, wenn man Gummistiefel trägt, und über die Bedeutung, ernst zu sein.
    »Nun mal los, Mrs. Williams«, sagte er mit mildem, nervösem Spott. »Die Augen der

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