Menschenskinder
kündigen.
Katja schien ähnliche Bedenken zu haben. »Heute checken wir aber erst mal ab, wo dieser malotru seine Tische hat. Der kriegt es fertig und kippt einer von uns versehentlich die Suppe in den Ausschnitt.«
»Woher weißt du denn, wie der heißt?«, wollte Stefanie wissen.
»Das weiß ich doch gar nicht.«
»Aber du hast doch eben seinen Namen gesagt, Mallo … irgendwas.«
»Das ist kein Name, sondern Französisch, und bedeutet so viel wie Schnösel.«
(Danke, Steffi, ich hab’s auch nicht gewusst, hätte aber aus begreiflichen Gründen nie gefragt!)
Monsieur malotru hatte offenbar seinen freien Tag, wir sahen ihn den ganzen Abend nicht, sondern hatten einen sehr distinguiert aussehenden Kellner der alten Schule, bei dem die Mädchen offenbar nicht wagten, ihre üblichen labbrigen Getränke zu bestellen. Sie entschieden sich ausnahmsweise für ein Glas Wein, was der alte Herr mit sichtlichem Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Auch jüngere Franzosen stehen inzwischen mehr auf Cola.
Und wieder begann das derzeitige Lieblingsspiel: »Der mit dem grünen Hemd?«
»Sechs. Der Blonde da drüben?«
»Hm, gar nicht so leicht, zwischen sieben und acht.«
»Viel zu hoch! Höchstens fünf, sieh dir mal die Beine an, kurze Hosen dürfte der gar nicht tragen. Flaschen gehören in den Keller!«
»Der mit dem gelben Polohemd?«
»Typischer Richard-Gere-Verschnitt, fehlt aber noch ’ne Menge! Bestenfalls sechs plus.«
»Jetzt kommt einer, der ist eine glatte Zehn«, sagte Nicki, »Moment, ihr könnt ihn noch nicht sehen … da ist er! Der im grauen Anzug!«
»Wenn er sich nicht umdreht, damit man sein Gesicht sehen kann, gilt er nicht!«, protestierte Stefanie, »obwohl … beim Outfit stimmt alles!«
»Blödsinn, nichts stimmt«, urteilte Katja mit Kennerblick, »der ist so’n Mitläufertyp. Hosen zwar modisch, aber bloß nicht zu sehr, Krawatte viel zu langweilig, Schuhe von vor drei Jahren, wer zieht denn heute noch diese spitzen MafiosoTreter an, und wenn du dann noch das Törtchen an seiner Seite anguckst … der ist höchstens eine Fünf minus.«
Dialoge (gibt es so was auch mit Tria- vorne dran?) dieser Art hörte ich mir nun schon seit Tagen an, genau genommen seit dem Augenblick, als auf der Herfahrt ein wirklich gut aussehender Mann Mitte dreißig in unser Abteil gestiegen und von den Mädchen einstimmig als ›glatter Zehner‹ bezeichnet worden war. Da erfuhr ich dann auch, dass es eine Schönheitsskala für Männer gibt, die von 1 (Sollte unter Verschluss gehalten werden!) bis 10 (Kaum noch zu übertreffen!) geht, wobei die Zehn sehr selten, die Eins noch nie erreicht worden war. »Volles Haar gibt ja schon einen Punkt«, hatte Katja erläutert. »Und wozu das alles?«, hatte ich wissen wollen. »Ihr seid doch gar nicht mehr auf dem Markt?«
»Just for fun! Oder, um es mit Herrn Schiller, Friedrich von, zu sagen: Drum prüfe, wer sich ewig bindet …«
»Umgekehrt geht’s auch«, sagte Nicki grinsend, »drum binde sich, wer nicht ewig prüfen will! Noch dreiunddreißig Tage bis zur Stunde X.«
Womit wir wieder beim Thema waren, unter besonderer Berücksichtigung der Frage, ob man als Braut unbedingt ein ganz neues Outfit fürs Standesamt braucht oder eventuell Neues mit schon Vorhandenem kombinieren kann. Das Letzte, was ich an diesem Abend hörte, bevor sich die Tür zwischen den beiden Zimmern schloss, war Katjas Feststellung: »Ganz egal, was du anziehst, Nicki, eins musst du dir merken: Mode ist, was man selber trägt. Altmodisch ist, was die anderen tragen!«
Unser Zug sollte um 15.20 Uhr vom Gare de l’Est abfahren, also würde uns genügend Zeit bleiben, noch ein bisschen durch Montparnasse zu bummeln, ohne gezielt etwas besichtigen zu müssen. Wir würden das Gepäck zur Aufbewahrung geben, Steffi würde uns in die richtige Metro lotsen – sie kannte den Streckenplan mittlerweile fast auswendig –, in irgendeinem kleinen Bistro würden wir einen bescheidenen Imbiss nehmen, musste ja möglich sein, Künstler haben bekanntlich wenig Geld, und dann würden wir mit einem letzten Blick auf sein berühmtestes Viertel von Paris Abschied nehmen und wieder in die U-Bahn steigen.
Hatten wir gedacht! Nach einem ausgiebigen Frühstück – merkwürdigerweise war diesmal sogar Kartoffelbrei angeboten worden, ein in Japan wohl weitgehend unbekanntes, hier jedoch bei seinen Touristen ein schon am frühen Morgen sehr beliebtes Gericht – erledigten die Mädchen den administrativen Teil
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