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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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mich dreimal aus verschiedenen Blickwinkeln, jedoch immer mit einem Teil der Kirche als Hintergrund abgelichtet hatte. »Wahrscheinlich ist sie bloß von außen so berühmt.«
    Mit dieser Begründung durchaus einverstanden, erklärte ich das Kulturprogramm für heute beendet. »Mir steht der Sinn jetzt auch mehr nach einem Eisbecher!«
    Es gibt in den umliegenden Straßen wirklich viele Restaurants und Cafes, jeder Zentimeter Trottoir davor ist mit Tischen und Stühlen vollgestellt, nur gibt es leider noch mehr Touristen! Und fast alle haben nach Aufstieg zur Kirche, Umrundung derselben und vermutlich auch Besichtigung ihrer Innenausstattung das verständliche Bedürfnis nach Erholung. Gäste, die vor bereits geleerten Tassen sitzen und trotzdem noch mit geheimer Schadenfreude die vorbeidriftenden Menschenmassen beobachten, werden erst mit Blicken, und wenn die nichts nützen, mit einem freundlich-drohenden »Sie gehen doch sicher gleich, nicht wahr?« zum Verlassen der begehrten Stühle aufgefordert, auf die sich dann aber nicht nur die Belagerer, sondern mindestens noch ein halbes Dutzend weitere Personen stürzen – Sieger ist, wer zuerst sitzt!
    »Irgendwie erinnert mich das an die Kämpfe auf deutschen Parkplätzen«, sagte Steffi, nachdem wir tatsächlich einen freien Tisch ergattert hatten, an dessen Eroberung sie nicht unbeteiligt gewesen war. Ein Ehepaar, dank Dirndl, Lederhosen und Wanderstöcken mit draufgenagelten Stadtwappen unschwer als deutschsprachig zu erkennen, hatte Kaffee und Kuchen bereits vertilgt, auch schon die Verdauungszigaretten geraucht, hatte sich also nach Steffis Ansicht genug erholt. Gekonnt stolperte sie über ein imaginäres Hindernis, fiel der Lederhose genau vor die Füße, rieb sich jammernd den Knöchel und wurde prompt von dem Mann hochgehievt und auf seinen Stuhl gesetzt. »Jo mei, do hods Eahna fei sauba hikaud! Hogga S Eahna hi! Wo duadsn wäh?«
    Steffi, deren Kenntnisse der bayrischen Sprache ähnlich umfassend sind wie meine, hatte natürlich kein Wort verstanden, sah ihren Retter nur mit Dackelaugen an und lächelte zaghaft.
    »Braachen S an Dogdda?«
    Das zumindest konnte ich übersetzen. »Vielen Dank, aber einen Arzt brauchen wir wirklich nicht«, sagte ich höflich, »sicher ist nur der Fuß ein bisschen gestaucht.«
    »Denn blei’m Se am besten erstma hier sitzen«, ordnete das Dirndl in unverfälschtem Berlinerisch an, »wir wollten sowieso jrade weita.« Sie griff zu Knotenstock und Trachtenjacke. »Komm, Justl, aufi jeht’s!« Dann drehte sie sich noch mal zu uns um. »Lassen Se sich von die Mademoiselle hier Eis bring’n, und denn kühlen Se det Been mal ’ne Weile, vielleicht hilft det ja. Tschüss und Jute Besserung!«
    »Bfiaddeahnagood!«, sagte Gustl und eilte hinterher, denn seine Begleiterin hatte sich bereits in den Strom der Fußgänger eingereiht. Erleichtert sank ich auf den freigewordenen Stuhl. »Deine Vorstellung war wirklich überzeugend! Und vor allem erfolgreich!«
    »Wieso Vorstellung?« Sie löste den rechten Schnürsenkel, rollte vorsichtig den Socken herunter und betastete den Knöchel. »Na ja, scheint ja noch mal gut gegangen zu sein. Tut zwar im Moment noch höllisch weh, aber er schwillt nicht an.«
    »Willst du damit sagen, dass du tatsächlich hingefallen bist und nicht bloß so getan hast?«
    Jetzt war sie es, die mich erstaunt ansah. »Glaubst du denn im Ernst, ich lege mich hier freiwillig in den Straßenstaub? Ich bin über die dämliche Bordsteinkante gestolpert!« Sie deutete auf einen zerbröckelnden Stein, der einige Zentimeter weit in die Höhe ragte. Bei uns hätte man ihn entweder entfernt oder – was wahrscheinlicher ist – zumindest mit einem dieser hübschen rotweiß gestreiften Bänder weiträumig eingezäunt und abends mit einem Blinklicht gekennzeichnet. Eine derartige Maßnahme würde hier allerdings den Verkehrsfluss zum Stocken bringen, was wiederum die Gefahr eines Sturzes mindern würde, da vor lauter Menschen zum Hinfallen gar kein Platz wäre. Aber Steffi war ja sowieso in die verkehrte Richtung gekippt.
    Eiswürfel wollte sie nicht, lieber ein richtiges Eis mit Sahne, aber vorher ein großes Glas Cola und hinterher noch eins, weil man von dem süßen Zeug immer Durst kriegt. Danach fühlte sie sich gestärkt genug, den Rückweg zur Metro-Station anzutreten. »Der Knöchel tut kaum noch weh, außerdem geht es jetzt ja immer bloß bergab.« Auch das war wieder ein Irrtum! Wir verliefen uns in dem Gewirr von

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