Menschenskinder
Idee der heimlichen Raubzüge gebracht und sich im Übrigen auch daran beteiligt habe. Der Vater wiederum meinte, ich dürfe das alles nicht so eng sehen, geklaute Sachen schmeckten nun mal am besten, ich bräuchte doch nur an die Obstbäume in Nachbars Garten zu denken, und überhaupt sei es besser, wenn die Jungs ihren kriminellen Neigungen im eigenen Heim nachgingen als im nächsten Supermarkt.
Bevor sich im darauf folgenden Jahr auch Steffi an der außerplanmäßigen Selbstversorgung beteiligen würde, weil man sie bestimmt zum Schmierestehen brauchte, sann ich auf Abhilfe. Künftig stapelten sich die Dosen ganz unten in meinem Kleiderschrank. Zwar musste ich ständig den Schlüssel abziehen, was ziemlich lästig war, doch in der Schublade zwischen den Gürteln lag er sicher.
Das ging auch so lange gut, bis ich einen neuen Schrank bekam und wenige Wochen später feststellen musste, dass sich Schiebetüren nicht abschließen lassen. Andererseits hatte ich nunmehr sechs Schatzsucher im Haus, wobei der älteste auch der hartnäckigste war, vom sonst so häufig erwähnten Gleichgewicht der Geschlechter in unserer Familie war nicht mehr die Rede, mein »Sechs-gegen-einen-ist-feige!« wurde überhört, und das Ende vom Lied war ein entnervter Familienvater, der einen Tag vor Heilig Abend bei den hiesigen Bäckern den Restbestand an Weihnachtsplätzchen aufkaufte; die zwei Supermärkte (jetzt haben wir sechs!) hatten nur noch Dominosteine und Pfeffernüsse anbieten können.
Von nun an ließ ich mich beim Backen nicht mehr von vorweihnachtlichen Melodien und – alle Jahre wieder! – Gerhard Polts ›Osterhasi? Nikolausi?‹ berieseln, sondern schaltete das Radio ab, weil es mich beim Nachdenken störte. Zwischen den einzelnen Arbeitsgängen lief ich immer mal wieder in den Keller, wenn mir ein neues Versteck eingefallen war, das sich dann doch wieder als nicht geeignet herausstellte. Zimtsterne in unmittelbarer Nachbarschaft von Holzschutzfarbe und Klarlack erschien mir genauso fragwürdig wie Krokantplätzchen neben Lampenöl und Schneckentod. Ich versuchte es mit neutralen Dosen statt der bisher benutzten bunten, stopfte sie noch zusätzlich in gebrauchte Plastiktüten und versteckte sie einzeln zwischen Gartengeräten, Badesachen und – hier wurden sie tatsächlich nie gefunden! – Wollresten, die mir eine Bekannte nach Auflösung ihres Handarbeitsladens überlassen hatte, in der abwegigen Vermutung, meine drei Mädchen würden ähnliche Ambitionen haben wie sie selber.
Seitdem ich jede Dose einzeln irgendwo vergraben musste, hatte ich mir angewöhnt, das jeweilige Versteck zu notieren, doch manchmal verschob ich die Buchführung auf später, und dann passierte es natürlich, dass ich die eine oder andere Büchse vergaß und erst wieder fand, wenn im Frühjahr zum ersten Mal der Rasen gemäht werden musste oder die FreibadSaison eröffnet wurde.
In einem Jahr nun waren es Anislaiberl von Herrn Witzigmann gewesen, die laut Rezept an einem kühlen, feuchten (!) Ort aufbewahrt werden sollten. Also ab damit ins Eck vom Keller, noch hinter die Kartoffelkiste, die alte Decke drüber und fertig.
Kein Mensch hat die Kekse gefunden, ich auch nicht, weil ich überhaupt nicht mehr an sie gedacht hatte. Erst zweieinhalb Jahre später im Sommer, als die Grillkohlen einfach nicht brennen wollten und Rolf in Ermangelung geeigneterer Hilfemittel die schon etwas marode gewordene Kartoffelkiste zerhackte, tauchte die kaum noch als solche erkennbare Supermarkttüte wieder auf. Beinahe wäre sie, von Sven mit spitzen Fingern ans Tageslicht gebracht, in der Mülltonne verschwunden, lediglich ihr Gewicht hatte ihn neugierig gemacht.
Über die nach welchen Kriterien auch immer erstellten Haltbarkeitsdaten von Lebensmitteln kann man streiten, aber ich gehe jede Wette ein, dass von unseren Ernährungs-Gurus meine selbst gebackenen Plätzchen nach ungefähr 30 Monaten Lagerzeit als ungenießbar, wenn nicht sogar als gesundheitsgefährdend eingestuft würden. Wir haben sie nicht nur ohne Spätfolgen überlebt, die Kekse haben sogar noch richtig gut geschmeckt.
»Was meinst du, wie viele Steaks wir brauchen werden?« Mit einer Hand knüllte Nicki das Stanniolpapier vom letzten Osterei zusammen, mit der anderen malte sie künstlerisch gestaltete Fragezeichen auf das vor ihr liegende Papier. »Würstchen gibt’s natürlich auch und für die Vegetarier Gemüseklopse.«
»Das klingt genau so, wie’s vermutlich schmeckt«, sagte Rolf,
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