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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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unseres Aufenthalts und schickten mich auf die Suche nach einem Taxi, weil ich natürlich nicht wissen durfte, wie viel die vier Übernachtungen gekostet hatten. Sollte ihnen wirklich entgangen sein, dass innen an der Schranktür eine Auflistung der Zimmerpreise gehangen hat?
    Gegen zehn waren wir am Bahnhof, und wenige Minuten später gehörten wir auch zu den Gestrandeten, zu jenen Reisenden also, die auf ihren geschnürten Bündeln oder auch Koffern saßen, manche mit einem Pappbecher in der Hand und glasigem Blick, wartend auf irgendetwas, das irgendwann geschehen würde. Vielen hatten sich sogar auf dem Boden zusammengerollt, Rucksack oder Reisetasche fest im Arm, und schliefen.
    »So viele Schnorrer auf einmal habe ich ja noch nie gesehen!«, war alles, was Nicki angesichts dieses Heerlagers herausbrachte. »Dagegen ist der Stuttgarter Hauptbahnhof …«
    »Die betteln nicht, die trinken bloß was!«, sagte Steffi, nachdem sie unauffällig zwei dieser Becher inspiziert hatte. »Ich frage mich nur, weshalb die hier so zahlreich herumhängen. Das sind doch Hunderte.«
    »Wahrscheinlich warten sie aufn Zug! Wäre immerhin nahe liegend«, meinte Katja und griff zu ihrem Koffer, den sie angesichts dieser unerwarteten Menschenmenge erst einmal abgestellt hatte. »Hat jemand schon den Gepäckschalter entdeckt?«
    »Wenn Gepäck ›bagages‹ heißt, muss er da drüben sein!« Steffi deutete nach rechts, und da fanden wir sie denn auch, die Gepäckaufbewahrung. Ein eiserner Rollladen und eine verschlossene Tür ließen keinen Zweifel aufkommen, dass wir hier unsere Koffer nicht loswerden würden.
    »Was steht denn da auf dem Zettel?«
    »Pour plus de sécurité …«, buchstabierte Nicki, und dann: »Ich glaub’s einfach nicht! Die haben aus Sicherheitsgründen den Gepäckschalter geschlossen!«
    Das war nahe liegend. »Wenn sie sogar auf den Straßen die Papierkörbe zunageln, kann man wohl kaum erwarten, dass sie sich selber ein Kuckucksei ins Nest legen. Es wäre nicht die erste Bombe, die in einem Koffer explodiert.«
    »Heißt das, wir sitzen jetzt«, – Katja sah auf die große Uhr, – »beinahe fünf Stunden lang mit unserem Gepäck fest?« Sie stöhnte laut auf. »Wer ist eigentlich auf die blödsinnige Idee gekommen, unbedingt noch mal durch die Straßen pilgern zu wollen?« Ihr vorwurfsvoller Blick traf mich. »Wir hätten die Zimmer erst um zwölf Uhr räumen müssen und könnten jetzt noch gemütlich beim Frühstück sitzen. Aber nein, wir mussten ja früh aufsteh …«
    »Frühstück gibt’s nur bis zehn Uhr«, unterbrach Steffi das Lamento, »und außerdem waren wir doch alle dafür, heute noch ein bisschen herumzubummeln.«
    »Aber nicht mit zwölf Kilo Gepäck!«
    »Warum schleppst du denn auch immer deinen halben Kleiderschrank mit?« Ohne Anstrengung hob Nicki ihren Koffer an. »Meiner wiegt bloß halb so viel.«
    »Man muss schließlich für alle Eventualitäten gerüstet sein!«
    »Aber nicht mit drei Nachthemden!«
    »Was du schon wieder denkst«, kam es empört zurück, »die sind doch nur zur Sicherheit. Oder weißt du nicht mehr, dass ich damals während des Schüleraustauschs beinahe im Krankenhaus gelandet wäre?«
    »Da hattest du für die eine Woche doch sowieso schon vier Schlafanzüge mitgenommen!«
    »Die habe ich ja auch alle gebraucht. Bei Fieber schwitzt man …«
    »Ob die hier Schließfächer haben«, unterbrach Steffi den wenig ergiebigen Dialog, »vielleicht werden wir dort unser Gerödel los?«
    »Ganz bestimmt«, knurrte Katja wütend, »oder glaubst du etwa, da passt keine Bombe rein?!«
    Sie hatte Recht. Die Fächer waren alle versiegelt.
    Die Aussicht, wie eine Glucke auf dem Nest von vier Koffern und ebenso vielen Taschen zu hocken, die von handlich (meine!) über knapp mittelgroß (Stefanie und Nicole) bis zu Katjas prallgefüllter Sporttasche reichten, und das Sammelsurium zu bewachen, fand ich wenig verlockend, andererseits hatte ich mich vor gar nicht langer Zeit in einer ähnlichen Lage befunden und auch überlebt. »Steffi, woran erinnert dich diese Situation?«
    »An das Openair-Konzert auf dem Mannheimer Maimarkt«, kam es prompt zurück. Doch dann zog ein verstehendes Grinsen über ihr Gesicht. »Na klar, Manila!«
    Wir wechselten uns ab. Paarweise bewachten wir das Gepäck, während die anderen zwei Ausgang hatten und sich trotzdem langweilten, denn die Umgebung des Gare de 1’Est hat auch nichts anderes zu bieten als die meisten Großstadtbahnhöfe und ist bei

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