Menschenskinder
Sacré-Cœur, s’il vous plait?«
Sie strahlte mich an, deutete nach rechts, nach oben, dann nach links und wieder nach oben, begleitete jeden Richtungswechsel mit erklärenden Worten, ich nickte zustimmend, bedankte mich, als sie zu Ende war, und – hatte nicht das Geringste verstanden!
»Wir sollen erst mal geradeaus«, sagte ich zu Steffi, »dann nach rechts, und da kämen wir direkt drauf zu.«
»Und dafür hat die so viele Worte gebraucht?«
Es war weder der Beschreibung jener Frau zu verdanken, dass wir die Kirche gefunden haben, noch erst recht nicht meinem Instinkt, der mich normalerweise in die entgegengesetzte Richtung geschickt hätte, sondern der zunehmenden Ansammlung von Kitsch- und Krempel-Läden, die sich auf beiden Straßenseiten aneinander reihen: T-Shirts, Hemden, Hüte, Sonnenbrillen, Sacré-Cœur als Aschenbecher und als Tasse, Eiffeltürme in diversen Größen, auch als Feuerzeug und Teelöffel erhältlich, Regenschirme mit aufgedruckter Notre-Dame und mittendrin ein Fahrradwimpel vom FC Bayern München. Sven wäre begeistert gewesen! Er liebt Souvenirläden, denn größtenteils aus ihren Artikeln rekrutiert sich sein Angebot, das er mehrmals im Jahr auf den hiesigen Flohmärkten verscherbelt. Sogar ziemlich erfolgreich. Bei ihm landet nämlich alles das, was man am liebsten sofort, aus Pietätgründen jedoch erst nach angemessener Frist in die Restmülltonne werfen würde in der Hoffnung, dass sich die jeweiligen Spender dann nicht mehr so genau an Einzelheiten ihrer Reisemitbringsel erinnern. Dazu gehören zum Beispiel der Wandteller aus Innsbruck mit dem Edelweiß in der Mitte, der gläserne Stiefel aus Dubrovnik, gefüllt mit zwei Schluck Slibowitz, die mit mehr Enthusiasmus als Sorgfalt beklebten Käseschachteln vom Nikolausbasar des Kindergartens und gelegentlich auch die milden Gaben handarbeitswütiger, erfreulicherweise weit entfernt lebender Tanten, die früher Verhüterli für die Klopapier-Rolle gehäkelt haben und nun auf Artischockentechnik umgestiegen sind. Was man eigentlich mit diesen umwickelten, an breiten Satinbändern befestigten Kugeln machen soll, weiß ich nicht, wahrscheinlich irgendwo aufhängen, doch dazu habe ich mich einfach noch nicht durchringen können. Sven hat gesagt, ich solle mich mit der gebotenen Begeisterung bei den Spenderinnen bedanken, diese Arbeiten ließen sich nämlich ausnehmend gut verkaufen und gingen so ziemlich als Erstes weg. Er scheint sowieso eine gewisse Begabung fürs Feilschen zu haben und wäre in Amerika bestimmt schon Millionär, weil Besitzer einer Kette von Souvenirläden. Sogar meine alte Küchengardine hat er auf dem Flohmarkt verhökert, als ich eines Tages die kleinen Blümchen nicht mehr sehen konnte und das Ding kurzerhand herunterholte. Lisa, knapp drei Jahre alte Nachbarin, hatte sich schon gefreut, weil »iss denn nämiss eine Prinzessin bin«, aber Sven hatte ihr die Gardine gegen zwei große Tüten Gummibärchen wieder abgehandelt, obwohl ich Lisa vor diesem für sie ungünstigen Geschäft gewarnt hatte.
»Du hast doch timmt noch mehr Gardinen, niss wa?« Sie hatte die kommerziellen Möglichkeiten zwischen Angebot und Nachfrage sehr schnell begriffen!
Nachdem Steffi lange der Versuchung widerstanden hatte, kaufte sie doch für ihren Mann ein T-Shirt, allerdings keins mit Eiffelturm vorne drauf, sondern mit Obelix, der sich erst auf Hannes’ breitem Brustkorb zu voller Größe entfalten würde.
Sacré-Cœur von nahem ist längst nicht so beeindruckend wie aus der Ferne, wo sie in strahlendem Weiß wie ein orientalischer Palast auf dem Gipfel des Hügels thront. Beim Näherkommen wird aus dem Weiß ein angeschmuddeltes Grau, teilweise verunziert durch so informative Mitteilungen wie ›Harry was here‹ oder ›Toiletten um die Ecke‹. Etwas irritierend das Vergnügungsangebot rund um die Kirche. Nur wenige Schritte neben dem Haupteingang geigte eine anämisch aussehende Musikstudentin Klassisches, schräg gegenüber jonglierte ein Clown mit Reifen und Bällen, im Schatten eines Gebüschs strichelte ein junger Mann an den Karikaturen potenzieller Kunden – er hatte übrigens den meisten Zulauf –, und wo noch Platz war, standen und lagen (!) Menschen, vorzugsweise auf der großen Treppe, knipsten, was das Zeug hielt, und wenn sie damit fertig waren, schoben sie sich zentimeterweise in die Kirche hinein. »Müssen wir auch innen besichtigen?« Steffi hängte sich die Kamera wieder über die Schulter, nachdem sie
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