Menschenskinder
ich auch…«
»Wollt ihr euch vorher noch begrüßen, oder gehen wir gleich rein?« Ausgerechnet mein künftiger Schwiegersohn musste mich auf die simpelsten Höflichkeitsregeln hinweisen.
»Entschuldige, Jörg, aber Brautmütter haben das Recht, am Hochzeitstag ihrer Töchter ein bisschen aufgeregt zu sein.« Pure Schutzbehauptung, weder war ich aufgeregt noch sonst wie von der Rolle, letztendlich machte ich diesen Auftrieb heute zum vierten Mal mit, da gibt sich das mit der Nervosität.
Es ist nun mal unausbleiblich, dass bei derartigen Gelegenheiten Frauen genau registrieren, was die ›Konkurrenz‹ trägt, während Männer das überhaupt nicht interessiert. Sie bemerken nicht mal, dass ihr Gegenüber dieselbe Krawatte umgebunden hat wie vor fünf Jahren bei der Jubiläumsfeier vom Kegelclub und schon vor acht Jahren anlässlich der Konfirmation des Sohnes; ihnen fällt höchstens auf, dass Heinrich oder Fritz ein paar Zentimeter in der Taille zugelegt haben, weil das Jackett vom Anzug – übrigens erstmalig bei eben jener Konfirmation im Einsatz gewesen – etwas spannt.
Frauen dagegen mustern sich von Kopf bis Fuß, unauffällig natürlich, aber gründlich! Und genau das tat ich auch. Offenbar hatte Jörgs Mutter vor dem gleichen Problem gestanden wie ich. Auch sie schien eine sehr niedrige Meinung vom Wetter zu haben und hatte sich entsprechend gerüstet; nur war sie noch ein bisschen pessimistischer gewesen. Während ich mich bei sinkenden Temperaturen allenfalls in meinen Blazer wickeln konnte, was nicht viel nützen würde, trug sie ein rotes Sommerkleid und Nerzjacke, so eine von der niedlichen kleinen Sorte, die Rolf mir nie hatte schenken wollen. Jetzt kriege ich sowieso keine mehr, echte Pelze sind ja heutzutage aber-nein-wie-kann-man-denn-nur?, und künstliche sehen auch genauso aus. Wohl aus diesem Grund werden sie meistens von jungen Leuten getragen.
Früher war’s umgekehrt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Omi jahrelang jeden Monat eine kleine Summe zurücklegte, bis sie genug beisammen hatte, um sich ihren heiß ersehnten Pelzmantel kaufen zu können. Damals muss sie so alt gewesen sein, wie ich heute bin, aber ein Persianer wäre nun wirklich das Letzte, was ich mir in den Schrank hängen würde.
»Darf ich dich mal eben mit Herrn und Frau W bekannt machen?«, fragte Jörg.
Wie? Ach so, natürlich, sofort. Da war ja noch ein Ehepaar mitgekommen, Freunde von seinen Eltern und eingeladen als Gegengewicht zu dem Sanders-Clan, der bei Familienfesten immer in der Überzahl ist. Frau W trug sommerliches Grün und ebenfalls einen kleinen Nerz, den sie fröstelnd mit einer Hand zusammenhielt. Mir war auch kalt. Kein Wunder, Wind war aufgekommen, und die so verheißungsvollen weißen Wolken hatten sich wieder in schmutzig graue Einheitssoße verwandelt. Warum war ich bloß nicht bei Dunkelblau geblieben?
Überraschend das Outfit der Braut. Ausgerechnet Nicole, die sich im Gegensatz zu ihrem Zwilling manchmal ein bisschen zu konservativ anzieht, hatte sich für einen grauen Hosenanzug mit Top entschieden, allerdings für einen mit kurzen Hosen. Dazu natürlich die passenden Strümpfe und Schuhe, sehr schick, sehr ungewohnt und ganz bestimmt im Hinblick auf Sonne und mindestens zwanzig Grad plus gekauft. »Frierst du nicht?«, flüsterte ich, während wir gemessenen Schrittes das fünfhundert Jahre alte Portal ansteuerten. »Doch, und wie«, flüsterte sie zurück, »hoffentlich ist es drinnen wärmer.«
Vor uns schlüpfte noch ein ausländischer Mitbürger durch die Tür. »Ich suche Meldestelle. Sie wissen?«
Jörg wusste. »Erster Stock, Zimmer 9.«
Auf der Treppe nach oben kamen uns zwei ältere Damen entgegen, sahen Nickis Teerosenstrauß und das Blümchen in Jörgs Knopfloch, lächelten verstehend und wünschten dem jungen Paar viel Glück.
»Ich komme mir vor wie aufm falschen Dampfer!«, sagte Steffi, nachdem sie einer gestressten Mutter mit zwei plärrenden Kindern Platz gemacht hatte. »Oder ist euch vielleicht feierlich zu Mute?«
Nein, so ganz richtig eigentlich nicht.
Inzwischen gibt es sogar hier einen Standesbeamten, der einmal im Monat auch samstags Trauungen vornimmt, wenn die übrige Schlossbesatzung schon ihr Wochenende genießt. Ich habe keine Ahnung, ob dieser Service als Überstunden verrechnet wird, ist ja auch egal, aber dann kann es bestimmt nicht passieren, dass einem ein wildgewordener Zwergpudel an der extra für den heutigen Tag gekauften, sündhaft teuren
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