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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wünschte. Sven filmte, zwei andere fotografierten, und als sie endlich fertig waren, war auch die Sonne wieder weg.
    »Wenn wir uns beeilen, schaffen wir’s noch zu den Autos, bevor es losgeht.« Jörg deutete aus dem Fenster: »Da kommt gleich gehörig was runter!«
    Nun hatten es plötzlich alle eilig, aber mir war trotzdem aufgefallen, dass außen an der Tür bereits ein anderes Schild hing: Sitzungssaal stand drauf. Das erklärte natürlich den langen Tisch mit den vielen Stühlen drumherum. In diesem Raum tagt auch der Gemeinderat, und wahrscheinlich hatte er sogar hier beschlossen, dass das Schloss während der Renovierungsarbeiten eingegangen sein musste und nun zu klein geworden war; so was kann ja passieren, ich habe auch so manches Kleidungsstück auf Teenie-Größe reduziert, allerdings nur in der Waschmaschine.
    Sven war schon vorausgelaufen, um von unten die Prozession des die Treppe herabschreitenden Hochzeitszuges zu filmen (für diesen Satz hätte ich seinerzeit im Schulaufsatz ein dickes rotes Ausrufezeichen kassiert!). Dann öffnete er die Tür und blieb abrupt stehen, anstatt sich draußen aufzubauen und das frisch vermählte Ehepaar beim Verlassen des Schlosses abzulichten. Im Hintergrund die Bronzetafel mit den geschichtlichen Daten macht sich bei solchen Gelegenheiten immer recht gut. »Ach du dickes Ei!«
    Und dann sahen wir es alle: Rechts und links vom Eingang standen sie Spalier, die Kleinen aus Nickis 1. Klasse. In Regenmänteln verpackt, Luftballons und jeweils eine Rose in den Händen haltend, strahlten sie ihre Lehrerin an. Im Hintergrund einige Mütter, die freiwillig Fahrdienst und Flöhe hüten auf sich genommen hatten.
    »Eins, zwei, drei«, kommandierte eine von ihnen, und dann ertönte aus 26 Kinderstimmen ein wunderhübsches kleines Ständchen, in dem viel von Glück und vielen bunten Luftballons die Rede war. Sie taten mir so Leid, wie sie dort aufgereiht standen, dem herunterpladdernden Regen trotzend, sich höchstens mal durchs Gesicht fuhren und eisern weitersangen. Ich sah zu Nicki hinüber. Hatte sie von diesem Aufmarsch etwas gewusst? Nein, offenbar nicht. Erst glaubte ich, sie habe sich zu weit vor die Tür gewagt und Regen ins Gesicht bekommen, doch dann merkte ich, dass es Tränen waren, die ihr herunterrannen. Mir stiegen sie ja auch in die Augen. Wem beim Anblick dieser triefenden kleinen Zwerge nicht das Herz aufging, der konnte einfach keins haben.
    Mit dem letzten Ton des musikalischen Glückwunschs ließen sie ihre Luftballons los, die nun aufsteigen und wegfliegen sollten. An jedem hing eine Karte mit der Bitte, der Finder möge sie doch an die umseitige Adresse zurückschicken und dem soeben getrauten Ehepaar gratulieren. Eine wirklich nette Idee, nur ist sie im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen. Die meisten Ballons wurden vom Regen niedergedrückt und landeten im Schlossparkteich, andere blieben in den Bäumen hängen, doch von dem halben Dutzend, das tatsächlich weggeweht wurde, sind sogar zwei Karten zurückgekommen.
    Und dann stürmten sie los, jubelnd, schreiend, klatschnass stürzten sie auf das Brautpaar zu, gratulierten alle auf einmal und wedelten sich gegenseitig mit den Blumen durchs Gesicht. Es war wohl vorgesehen, dass die Jungs ihre Rosen der Braut überreichen sollten, während die Mädchen den Bräutigam versorgen sollten, nur stand Jörg dem ganzen Trubel etwas hilflos gegenüber; seine Erfahrung mit Kindern beschränkte sich bis dato auf Nachbars Sprösslinge, denen er gelegentlich die verirrten Bälle aus dem Garten zurückwerfen musste. Inzwischen hat er aber schon an zwei Klassenfeiern teilgenommen und beim Weihnachtsbasar mitgemacht, ist also im Umgang mit Sechs- und Siebenjährigen wesentlich trainierter als am Tag seiner Hochzeit.
    »Du siehst gar nicht aus wie eine richtige Braut«, bemängelte ein Steppke, »wie meine Mama voriges Jahr geheiratet hat, da hat sie ein langes weißes Kleid angehabt und einen Schleier.«
    Kleine Kinder sagen manchmal Dinge, die die Eltern bestimmt lieber für sich behalten hätten.
    »Kommst du nächste Woche auch ganz sicher wieder in die Schule?«, kam es ängstlich von links.
    »Natürlich komme ich am Montag wieder, was soll ich denn sonst ohne euch machen?« Nicki wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. »Außerdem lade ich euch alle zum Eis ein.«
    »Au ja! Jetzt gleich?«
    »Du bist vielleicht blöd! Doch nicht heute!« Das war der mit den Erfahrungen in punkto Hochzeit.

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