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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Strumpfhose hängt, während Herrchen sich bei geöffneter Tür noch mit Frau Trautwein vom Ordnungsamt unterhält.
    »Warum haben wir nicht den Fahrstuhl genommen?«, überlegte Nicki laut.
    Wieso Fahrstuhl? »Seit wann gibt’s denn einen?« Wahrscheinlich seit der Renovierung, war mir aber noch nicht aufgefallen. Wieso auch? Die Pass-Stelle, einzige Behörde, die ich gelegentlich aufsuche, befindet sich im Erdgeschoss, und Marken für die Mülltonnen gibt es neuerdings im Postamt gegenüber vom Bahnhof.
    Endlich oben. Geradezu eine Flügeltür, Trauzimmer steht dran. Ist nicht abgeschlossen, also alle Mann hinein. Dicke Holzbalken an der Decke, gehalten von ebenso dicken Holzpfosten, stilvoll knarrende Dielen, hinten quer ein voluminöser Tisch mit Schreibmappe aus geprägtem Leder, bereitgelegten Stiften, Blumengesteck. Davor vier Sessel für die Hauptpersonen. Das Gefolge darf an dem langen Tisch Platz nehmen, der den größten Teil des Raumes füllt. Um tatsächlich mal alle vorhandenen Stühle zu besetzen, müsste sich bei uns schon jemand von der Popularität eines Michael Schumacher oder Joschka Fischer verehelichen. Wir haben aber bloß einen Staatssekretär hier wohnen, und der ist bereits verheiratet.
    Der Standesbeamte wartete schon, begrüßte das Brautpaar und die Trauzeugen mit Handschlag, uns andere mit freundlichem Nicken. Filmen und fotografieren sei erlaubt, man dürfe sogar hinter ihn treten, wenn Aufnahmen während der Unterschriftsleistung gewünscht werden, und wenn nun alle bereit wären, dann könne man ja beginnen.
    Nein, das konnten wir nicht. Sven hatte nämlich vergessen, den feierlichen Einzug ins Trauzimmer für die Nachwelt fest zu halten, also alles noch mal zurück auf Anfang. Der Beamte trug’s mit Fassung, vielleicht war er Ähnliches schon gewohnt. Doch dann ging es endlich los. »Liebes Brautpaar …«
    Draußen schien kurzfristig wieder die Sonne, knallte auf das direkt über uns liegende Dach, ich öffnete meine Jacke, Rolf den obersten Hemdenknopf, die Damen B. und W schlüpften verstohlen aus den Nerzen – es wurde schlagartig warm. Auch der Herr Standesbeamte transpirierte leicht und tupfte sich die Tröpfchen von der Stirn.
    »Der arme Kerl«, wisperte Steffi neben mir, »auch im Sommer immer im dunklen Anzug. Ob er den wenigstens als Dienstkleidung von der Steuer absetzen kann?«
    »Mit Sicherheit nicht!« Ich weiß das aus jener Zeit, als Sascha noch in seinem ursprünglichen Beruf als Restaurantfachmann gearbeitet hatte und seine Smokinghosen sowie die schwarzen Schuhe steuerlich geltend machen wollte. Das sei nicht möglich, hatte es geheißen, denn die könne er ohne weiteres auch im Privatleben tragen. Als ob das jemand täte! Wer zieht schon freiwillig seine Berufskleidung an, sofern er nicht gerade Pilot ist oder Kapitän zur See? Und selbst die brauchen nur ihre Schulterklappen mit den Goldstreifen ans private Hemd zu knöpfen, um im vollbesetzten Restaurant noch einen Tisch zu kriegen.
    »… Sie die hier anwesende Nicole Sanders zur Frau nehmen, sie lieben …«
    Weshalb wird eigentlich immer der Mann zuerst gefragt? Ist doch unhöflich. Oder will man der Braut die eventuelle Blamage ersparen, dass der Bräutigam im letzten Moment noch einen Rückzieher macht, während die Braut schon Ja gesagt hat? Ist aber meines Wissens noch nie vorgekommen, umgekehrt schon häufiger.
    »Ja!«, hatte Jörg gerade ganz deutlich gesagt. Und »Ja!« kam es Sekunden später genauso klar von Nicki.
    »Nachdem Sie vor den hier anwesenden Zeugen …« Das hatte ich nun auch schon ein paar Mal gehört, anscheinend ändert sich der Text nie, Variationen sind nicht üblich. »… zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten.«
    Na also, jetzt hatten Rolf und ich endgültig die Verantwortung für unsere Tochter abgegeben. Viele Mädchen, die heiraten, machen zumindest zwei Menschen glücklich: Vater und Mutter.
    Henning zückte das Etui mit den Ringen.
    »Die müssen das vorher geübt haben«, flüsterte Steffi, nachdem auch das Ritual des Ringwechselns einwandfrei geklappt hatte. »Weißt du noch, wie mir Hannes damals den Mittelfinger entgegengestreckt und ich Blut und Wasser geschwitzt habe, weil der Ring plötzlich nicht mehr drüberging?«
    Noch einmal meldete sich der Standesbeamte zu Wort: »Wenn Sie jetzt bitte hier unterschreiben wollen …«
    Dann war auch das erledigt, und nun begann die Gratulationstour, in deren Verlauf so ziemlich jeder jedem die Hand schüttelte und alles Gute

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