Menschenskinder
Tag Hochzeit. Wie hatten wir das bloß früher gehandhabt, als noch alle fünf Kinder im Haus gewesen waren? Zugegeben, deren Reinlichkeitsbedürfnis hatte sich seinerzeit in Grenzen gehalten, und besonders die Jungs hatte ich oft genug mit Gewalt ins Bad getrieben und vor der Tür Posten bezogen, damit sie nicht gleich wieder rauskamen. Dagegen hatten die Mädchen häufig ein Badezimmer-Zeitlimit bekommen. Eine Zeit lang war es auch umgekehrt gewesen, als nämlich die Zwillinge ihre Katzenwäsche-Phase gehabt hatten und die Jungs lange Haare sowie den Drang, sich zu rasieren und sich danach mit dem Inhalt aller herumstehenden Fläschchen zu begießen. Oft genug war danach eine nochmalige Dusche fällig geworden, um die penetrante Duftwolke wieder loszuwerden. Heutzutage wird für jede Altersstufe das passende Wässerlein zusammengerührt, damals griffen Knaben von Welt erst zu Vaters Rasierwasser, dann zu Mutters Eau de Toilette, und wenn sie’s eilig hatten, erwischten sie schon mal statt des dezent parfümiertem Hair-Styling die Tube mit Pfefferminz-Zahnpasta.
»Was meinst du, Määm, ob der Regen bis nachher aufhört? Vielleicht ist das da draußen bloß der letzte Rest von bewölkt, danach wird’s dann heiter?«
»Der liebe Gott erhalte dir deinen Optimismus.« Leise öffnete ich die Tür zu Rolfs Zimmer. Er schlief noch. Egal, in spätestens einer Viertelstunde musste er sowieso raus, jetzt hat er wenigstens noch Zeit zum Wachwerden. Ich stöpselte die Zuleitung in seine Steckdose und schaltete den Föhn ein. Sofort schoss er hoch. »Was ist los? Ist der Wecker kaputt?«
»Nein, aber wenn du vor einundzwanzig Jahren im Bad eine zweite Steckdose …«
»Ich verstehe kein Wort!« Manchmal kann er ganz gut schwer hören!
Hinter mir stapfte Sven die Treppe herunter. »Ist das Bad frei?«, brüllte er mir ins Ohr.
»Was glaubst du wohl, weshalb ich hier draußen stehe?«, schrie ich zurück. »Mach lieber mal den Fernseher an und sieh nach, ob’s einen Sender mit schönem Wetter gibt!«
»Den gab’s gestern! Wir sollten uns endlich damit abfinden, dass Meteorologen Leute sind, die über Geophysik, Thermodynamik und Klimatologie ungemein viel wissen und über das Wetter vom nächsten Tag so gut wie gar nichts. – Kann ich endlich ins Bad?«
Steffi war herausgekommen, noch im Bademantel, aber schon nach irgendwelchen ätherischen Ölen duftend. »Neues Duschgel?«
»Nee, Hannes’ After Shave. Jetzt hat er keins mehr!« Langsam umrundete sie mich. »Ich kann mir nicht helfen, aber du siehst aus, als ob der Föhn explodiert ist.«
»Frisiere du dich mal ohne Spiegel!«
»Warum biste nicht auf die Gästetoilette gegangen? Da hängt einer.«
»Warum badest du in Rasierwasser?«
Nur einen Spalt breit öffnete sich die Badezimmertür, und Svens Kopf erschien. »Ob mir wohl jemand eine Unterhose leihen kann?«
»Halb zehn Uhr!« hatten wir gestern Abend noch ausgemacht, und mit nur zwanzig Minuten Verspätung erschien Hannes als Letzter am Frühstückstisch, sich intensiv am linken Arm kratzend. »Am besten erprobt man Akupunktur, indem man ein neues Hemd anzieht.« Er begrüßte Tom und Katja, die in der Zwischenzeit gekommen waren und frische Brötchen mitgebracht hatten. »Wo sind die Eier, der Schinken, die Käseplatte? Und wo ist mein After Shave?«
»Umgekippt und ausgelaufen«, sagte Steffi, »war aber kaum noch was drin.«
Leise knurrend fand er sich damit ab, dass es im Hinblick auf die uns erwartenden kulinarischen Genüsse nur ein spartanisches Frühstück geben würde. »Du willst ja bloß wieder am Essen sparen!«
»Richtig! Berücksichtige zunächst die ständig steigenden Lebensmittelpreise, und dann denk mal drüber nach, wie ungesund das ganze Zeug eigentlich ist!«
»Hört endlich auf«, fuhr Katja dazwischen, »in anderthalb Stunden heiratet meine Zwillingsschwester, und ihr streitet euch über die Preise von Leberwurst!«
Sie hatte ja Recht, nur – irgendwie war das gar keine ›richtige‹ Hochzeit, vielmehr ein Verwaltungsakt, mit dem eine seit langem bestehende Verbindung amtlich besiegelt werden sollte. Wir würden nicht einmal gemeinsam hinfahren, sondern uns vor dem Standesamt treffen, und wenn alles vorbei war, gäbe es in dem kleinen Restaurant oben am Waldrand ein gemeinsames Mittagessen. Danach würden wir uns wieder trennen. Meinen Vorschlag, bei uns zu Hause wenigstens noch Kaffee zu trinken, hatte das Brautpaar abgelehnt. »Erstens hätten wir gar nicht alle Platz,
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