Menschensoehne
seit langem einen Mann bei der Zeitung. Aber im Gegensatz zu deinem weiß er mit vertraulichen Mitteilungen umzugehen. Soweit ich verstanden habe, hat sich dein Typ auf einer Redaktionskonferenz damit gebrüstet und sogar deinen Namen genannt und so vertraulich getan, als wärt ihr zusammen konfirmiert worden. Du solltest ihn mal zur Rede stellen.«
»Du bist mir etwas schuldig«, sagte Sigurður Óli nach kurzem Schweigen.
»Was soll ich dir schuldig sein?«, fragte Erlendur. »Du weißt, dass ich nicht mit meiner Meinung hinterm Berg halte, und ich muss dir ehrlich sagen, dass du mich mit deinen extremen Bügelfalten, deinem Junggesellenappartement und dem entzückenden kleinen Diplom in Politikwissenschaften, gar nicht zu reden von deinem Aufbaustudium in den Staaten, nervst; du behandelst die Leute, die uns weiterhelfen, arrogant, und du bist intolerant und ungeduldig. Glaubst du, dass wir unsere Fälle auf Seminaren in Amerika lösen? Und wieso hast du eigentlich keine Familie? Wie stellst du dir eigentlich deine Zukunft vor?«
»Nein, Gott bewahre uns vor Ausbildung und mehr Wissen«, antwortete Sigurður Óli. »Und wo wir schon mal Klartext reden, dann will ich dir eins sagen, Erlendur. Es gibt da jede Menge in deinem Verhalten, was ich genauso wenig vertrage. Wie beispielsweise mir vorzuwerfen, dass ich keine Familie habe. Dabei bist du selber geschieden, deine Kinder sind dem Suff und Drogen verfallen, und selbst lebst du in einer vergammelten Bude da oben in Breiðholt. Und lässt die Wut und den Ärger, die mit so einem kaputten Leben verbunden sind, an irgendwelchen beknackten Dealern aus, die deine Tochter zusammenschlagen. Und ziehst mich in die Scheiße mit hinein! Und so ein vorbildlicher Vorgesetzter hält seinem Mitarbeiter eine Standpauke. Du bist engstirnig und hasst alle, die eine höhere Ausbildung haben als nur einen Mittelschulabschluss. Im Gegensatz zu dir war ich immer ein guter Schüler und kein Versager, aber jetzt hat der Versager die Möglichkeit, einem Mann in den Arsch zu treten, der es geschafft hat, eine Ausbildung zu machen. Herzlichen Glückwunsch!«
Die Scheiben waren inzwischen so beschlagen, dass man kaum noch hinaussehen konnte. Die Heizung arbeitete lautstark auf vollen Touren, kam aber nicht dagegen an. Schließlich ließ Erlendur die Scheiben herunter und die beiden Männer saßen schweigend da. Die schier endlose Autoschlange war inzwischen endgültig zum Stillstand gekommen.
Sechsundvierzig
»Uns ist das bereits vor zwölf Jahren gelungen«, sagte Sævar Kreutz, während sie immer noch in dem kleinen Zimmer mit der verspiegelten Scheibe saßen und beobachteten, wie der koreanische Greis den Jungen abtastete. »Damals kannte kaum jemand Begriffe wie die Reproduktion von Menschen – oder Klonen. Es sei denn aus Science-Fiction-Romanen. Klonen ist im Grunde genommen eine einfache Sache, wir hatten nur einige Probleme damit, die Erbmasse zu isolieren, und wir haben Fehler gemacht. Aggi, wie du ihn nennst, ist der Erste, der beinahe perfekt gelungen ist.« »Der Erste?«, fragte Pálmi. »Beinahe? Gibt’s etwa noch mehr davon?«
Kiddi Kolke saß wie gebannt vor der Scheibe und starrte auf den leichenblassen Jungen, den der Greis drehte, wendete und kniff, ihm in den Mund schaute und in die Augen. Der kalte Schweiß brach ihm aus, und er spürte, wie im übel wurde.
»Was zum Teufel hast du da gemacht?«, fragte er Sævar Kreutz.
»Dieser Mann, der da bei ihm ist«, sagte Sævar, ohne sich im Mindesten aufzuregen, »dieser Mann ist ein koreanischer Multimilliardär und ein Geschäftsfreund des deutschen Kreutz-Konzerns, so heißt unser altes Familienunternehmen. Er hat Interesse daran, sich klonen zu lassen. So einfach ist die Sache. Er möchte weiterleben und weiterhin sein Unternehmen leiten. Er hat keine Kinder und keine Verwandten. Durch Klonen erhält er sich selbst und seine Familie. Es wird ihn Milliarden kosten, denn wir bieten ihm eine außerordentlich spezielle Dienstleistung. Geld genug dazu hat er, sogar mehr als genug. Man könnte es so ausdrücken, dass er unser erster Kunde ist. Er war nicht sehr angetan von einer Reise nach Island, aber ich unternehme keine Demonstrationsreisen mit meinen Klonen. Deswegen musste er sich dazu aufraffen, hierhin zu kommen. Dieser Mann hat in den letzten fünfzehn Jahren seinen Wohnsitz in Korea nicht verlassen und ist jetzt mitten im tiefsten Winter hier ins nördliche Eismeer gekommen, weil er sich Hoffnungen auf ein
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