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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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darum«, sagte Erlendur. »Wir müssen sie finden.«

Einunddreißig
    Da Dagný auch nicht den entsprechenden Kassettenrekorder besaß, musste Pálmi in die Stadt und sich selbst einen kaufen, in den diese winzigen Kassetten passten. Er versuchte, sich mit Erlendur in Verbindung zu setzen, um ihm von dem nächtlichen Überfall zu erzählen, aber ihm wurde gesagt, dass Erlendur in einer wichtigen Besprechung sei und nicht gestört werden dürfe. Pálmi hatte keine Lust, zu sagen, dass es dringend sei. Er schwebte ja nicht in Lebensgefahr.
    In seiner Wohnung herrschten nach dem nächtlichen Überfall allerdings chaotische Zustände. Der Einbrecher hatte unter anderem den ganzen Schreibtisch geleert, ohne allerdings etwas zu finden. Von Jónas Hallgrímsson, der die Kassetten sorgfältig verwahrte, hatte er keine Notiz genommen.
    Die Studentin der Literaturwissenschaft ließ sich problemlos noch einmal dazu bewegen, den ganzen Tag im Antiquariat zu übernehmen. Er ging in ein Elektrogeschäft und kaufte einen Kassettenrekorder. Da Pálmi ausschließlich öffentliche Verkehrsmittel benutzte, nahm das einige Zeit in Anspruch. Er kam erst kurz nach Mittag wieder nach Hause und begann gleich mit dem Abhören der Kassetten, indem er die erste in das Gerät einlegte und auf ›Play‹ drückte.
    Auf den Kassetten befanden sich keine zusätzlichen Erklärungen von Halldór, sondern nur die Gespräche mit Daníel in der Klinik, kurz bevor Halldór ermordet wurde. Halldór hatte bei seinen Besuchen alles aufgenommen. Sie sprachen seltsam leise und langsam, und manchmal schwiegen sie so lange, dass Pálmi befürchtete, das Gerät sei nicht in Ordnung. Aber dann ging es doch weiter. Zwei Männer im Gespräch miteinander, kurz bevor sie starben.
    HALLDÓR: … und ich habe bei diesem mürrischen Fotografen schöne Rahmen für die Bilder gekauft und sie bei mir zu Hause aufgehängt. Ich war immer so gespannt darauf, ein neues Klassenfoto zu bekommen. Das gab mir Beschäftigung, und ich spürte erneut das Glück, den Werdegang meiner Kinder vom ersten Schultag an bis zur Entlassung mitverfolgen zu können. Unter meinen Augen sind sie aufgewachsen und haben sich prächtig entwickelt, ich habe sie meine Blumen genannt. Jede Klasse hat eine eigene Reihe bei mir an der Wand, und ich lasse den Bildern meine ganze Fürsorge angedeihen. Ich schaue sie mir von Zeit zu Zeit an und sehe, wie viel sich im Laufe der Zeit verändert hat. Man kann viel aus einem Klassenfoto herauslesen, Daníel, sehr, sehr viel. Auf den Bildern stehen die großen Jungen in der hintersten Reihe und die kleineren in der Mitte. Die Mädchen saßen immer auf dem Boden. Meiner Meinung nach kommt die Geschlechterdiskriminierung, wie sie damals herrschte, nirgends besser zum Ausdruck als auf diesen alten Klassenfotos. Seitdem hat sich natürlich einiges geändert. Heute geht es nicht mehr so ordentlich zu. Und diese Kinder sehe ich nie wieder. Sie gehen hinaus ins Leben und verschwinden aus meinem Gesichtskreis. Aber ich bewahre ihre Jugend auf, die bleibt bei mir.
    Vor vielen, vielen Jahren habe ich mir einmal an einem Freitagabend die Bilder angeschaut. Ich hatte schon etwas getrunken, das mache ich immer, weil es hilft, dieses Untier in mir zu betäuben. Da klopfte es plötzlich an der Tür, was außerordentlich selten geschieht, denn ich kenne niemanden und will keine Gäste haben. Sogar meine Schwester Helena schaut höchstens alle paar Jahre mal bei mir herein. Da stand also jemand vor der Haustür und wollte mit mir reden. Ich schlich mich zum Fenster und konnte niemanden sehen, doch dann wurde wieder heftig gehämmert, und zwar so wild, dass es im ganzen Haus widerhallte. Ich musste zur Tür gehen. Draußen stand ein untersetzter und kräftiger Mann, der eine Hornbrille trug und außerordentlich elegant gekleidet war. Er fragte, ob ich Halldór Svavarsson sei und an der Volksschule unterrichte. Ich hatte den Mann nie zuvor gesehen und erklärte ihm sofort, dass ich ihm nichts abkaufen würde, falls er ein Hausierer sei. Er erklärte, er würde weder zu den Zeugen Jehovas gehören noch getrockeneten Fisch an der Tür verkaufen. Daraufhin habe ich ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. Ich hätte sie nie wieder öffnen sollen. Nie wieder, Daníel. Kaum war ich wieder im Wohnzimmer, hörte ich die Klappe am Briefkastenschlitz quietschen. Sie hat schon immer gequietscht.
    ›Es ist wegen Hvolsvöllur‹, rief der Mann durch den Briefkastenschlitz. ›Wäre es nicht

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