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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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die Wände drangen, nicht wagte, die Stimme zu erheben.
    Pálmi brachte kein Wort heraus. Der Angreifer hatte ihn so fest am Hals gepackt, dass er nichts sagen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Er schaute den Mann mit zugequollenen Augen an und rang nach Atem. In diesem Augenblick tauchte ein weiterer Mann auf. Pálmi sah nur einen dunklen Schatten, der sich langsam hinter dem Angreifer aufrichtete und eine Weile hinter ihm stand, bevor er zur Tat schritt. Der Angreifer war vollkommen ahnungslos, als der Mann hinter seinem Rücken ihn plötzlich packte und mit einem kräftigen Ruck von Pálmi wegriss, sodass sich der Griff um Pálmis Kehle lockerte. Die Taschenlampe fiel zu Boden. In der schummrigen Beleuchtung konnte Pálmi erkennen, wie sein Retter den Angreifer mit dem Kopf gegen die Wand im Schlafzimmer schleuderte, dass es nur so krachte. Dann schleifte er ihn aus dem Zimmer, quer durch die Wohnung, das Treppenhaus hinunter und aus dem Haus. Geräuschlos und stumm verschwand er mit ihm in der winterlichen Dunkelheit.

Dreißig
    Am nächsten Morgen hatte Erlendur in aller Frühe eine Besprechung mit seinen engsten Mitarbeitern. Diese hatten die Worte von Sigmar auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft, mit Angehörigen der Jungen aus der 6 L gesprochen und, wo es notwendig schien, die polizeilichen und medizinischen Berichte eingesehen. Rasch überflogen sie die Ergebnisse.
    Sigmars Fall war eindeutig. Er war in Polizeigewahrsam gewesen und hatte sich erhängt. Ein Kleinkrimineller, der ständig mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Seine Eltern waren noch am Leben, hatten aber seit Jahren nichts von ihm gehört. Sie hatten ihn mit siebzehn aus dem Haus geworfen, und ihren Worten zufolge war es unzumutbar gewesen, mit ihm unter einem Dach zu leben, denn er klaute nicht nur, sondern war auch gewalttätig und drogensüchtig.
    Agnar Baldursson, Aggi genannt, war an Herzversagen gestorben. Seine Mutter lebte noch, ebenso sein älterer Bruder, der als Schreiner in Sauðárkrókur arbeitete. Sein Vater lebte mit einer anderen Frau in Hveragerði zusammen. Agnar war dreizehn Jahre alt, als er starb.
    Von Óskar Kárason lebten noch zwei Geschwister. Sein Bruder besaß ein florierendes EDV-Unternehmen, und die Schwester war bei ihm angestellt. Ihre Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. In den Gesprächen mit den Polizeibeamten stellte sich heraus, dass Óskar, der in seiner Jugend Skari Skandal genannt wurde, Ende der siebziger Jahre an einer Überdosis Rauschgift gestorben war. Das war noch am selben Tag vom Amtsarzt bestätigt worden. Óskars Bruder erklärte, dass der Junge schon sehr früh mit Drogen in Berührung gekommen war. Mit der Polizei war er erstmals in Konflikt geraten, als er anfing, Drogen ins Land zu schmuggeln und zu verkaufen. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Mit zweiundzwanzig Jahren wurde er vor einer Diskothek in Sigtún tot aufgefunden.
    Gísli Bjarnason war durch einen Arbeitsunfall zu Tode gekommen. Er hatte auf dem Feld einen Traktor ohne Überrollbügel gefahren und allem Anschein nach die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Er war unter den Trecker geraten und auf der Stelle tot gewesen. Mutter und Vater waren beide verstorben, aber seine Schwester lebte noch. Ihrer Aussage nach hatten die Eltern den Tod des einzigen Sohns nie verwunden. Ihre Ehe ging danach auseinander. Der Vater war vor einem Jahr an einem Herzschlag gestorben. Gísli war dreizehn Jahre alt, als er ums Leben kam.
    In Bezug auf Daníel waren ihnen die Fakten bekannt. Er hatte vor einigen Tagen in einer psychiatrischen Klinik Selbstmord begangen. Von der Familie lebte nur noch sein jüngerer Bruder Pálmi. Bei Daníel war bereits in jungen Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden. Er hatte versucht, seinen kleinen Bruder umzubringen, und hatte seitdem in einer geschlossenen Anstalt gelebt. Er war zweiundvierzig Jahre alt, als er starb.
    Von Kristján Einarsson, genannt Kiddi Kolke, gab es seit dreizehn Jahren kein einziges Lebenszeichen. Seine Eltern wohnten in Akureyri. Der Vater war mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und hatte für einen Totschlag, den er unter Alkoholeinfluss verübt hatte, eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren erhalten. Messerstecherei in einem Vergnügungslokal. Es gab Gerüchte, dass seine Mutter in jüngeren Jahren auf den Strich gegangen war. Über die näheren Umstände von Kristjáns Verschwinden war nichts weiter bekannt. Die Eltern hatten nie

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