Menu d'amour
Mit größter Selbstverständlichkeit ließ er sich direkt neben Valérie auf die Bank fallen. Später kamen die schüchterne Camille und die rothaarige Marie-Claire dazu, und am Ende quetschte sich auch noch Georges, mein bärtiger Mitbewohner, mit dem ich mir die heruntergekommene Mansardenwohnung in der Rue Mouffetard teilte, zu uns an den dunklen Tisch mit seiner blankgescheuerten Holzplatte, und die ganze Bande war wieder beieinander.
Georges Bresson, Student der Meteorologie im fünften Semester, war ein liebenswerter Kerl und mit seinen knapp neunzig Kilo ein echter Fels in der Brandung. Er hatte eine Verlobte in der Haute-Normandie, die er manchmal übers Wochenende besuchte, und eine schwarze Katze namens Coquine, die zwischen unseren beiden Zimmern hin und her tigerte. Manchmal kochte ich abends für Georges und mich, dann saß Coquine stets interessiert auf der Anrichte und sah mir zu. Die winzige Küche war vollgestopft mit Regalen und zusammengewürfelten Schränken und bot für einen Tisch beim besten Willen keinen Platz mehr. Einen Kühlschrank gab es nicht, und im Winter hängten wir die verderblichen Speisen zum Kühlen in einer Tüte nach draußen an den Griff des kleinen Dachfensters. Zu meiner großen Freude hatte die Küche jedoch einen alten Gasherd, an dessen unkontrolliert hochschießender Flamme ich mir oft genug die Finger verbrannte. Kochen war schon immer meine Leidenschaft gewesen, und an einem jener gemütlichen Abende, an dem ich einen köstlich duftenden Lammbraten mit Lavendel und schwarzen Oliven aus dem Ofen gezogen hatte, den wir an dem Tisch in meinem Zimmer verspeisten, klopfte sich Georges zufrieden auf den Bauch und bot an, diesem vorlauten Christian eins auf die Nase zu geben, falls der meine Kreise störe.
»Nicht nötig«, versicherte ich und goss mir noch etwas von dem billigen Rotwein ein, den Georges bei dem Traîteur unten im Haus besorgt hatte.
»Was ist mit dir und Valérie?«
Ich nahm einen Schluck und merkte, dass ich keine Lust hatte, mit irgendwem über Valérie zu reden, nicht mal mit Georges. »Was soll sein?«, meinte ich ausweichend. »Sie ist mit mir im gleichen Semester. Ich finde sie nett. Wir sind gute Freunde.«
Georges sah mich schweigend an.
»Du findest sie nett «, sagte er schließlich und grinste unter seinem Bart. »Warum lädst du sie nicht mal zum Essen ein? Sie wäre begeistert von deinen Kochkünsten.«
»In diese Bruchbude? Auf keinen Fall«, sagte ich und fing an, die Teller zusammenzuräumen. »Da wäre sie wohl weniger begeistert. Außerdem hat sie schon einen anderen … glaub ich.«
»Es gibt immer einen anderen«, erklärte Georges. »Bleib dran.«
6
In der Hoffnung, dass meine Stunde noch kommen würde, machte ich mich also zu Valérie Castels treuem Ritter – so wie die kühnen Helden des Chrétien de Troyes, von denen wir in der Vorlesung gehört hatten. Das Jahr 1964 bot sich nicht sonderlich an für Aventiure-Fahrten, und es gab auch keine Turniere, die ich für Valérie hätte bestreiten können, gleichwohl leistete ich unermüdlich meine Minnedienste. Ich lud Valérie ins Kino ein und nahm in Kauf, dass sie ihre Freundin Camille mit in die Vorstellung brachte. Ich half ihr bei Referaten, ich war zur Stelle, als die Studentenbude im Quartier Latin, in die sie umzog, weil ihr altes Zimmer Teil einer Zahnarztpraxis wurde, gestrichen werden musste. Ich schleppte Bücher, Möbel und Farbeimer in den fünften Stock und bekam das erste Mal in meinem Leben einen Hexenschuss. Ich durchsuchte einen Nachmittag lang die Mülltonnen im Hinterhof der Rue Dauphine, weil Valérie sich todsicher war, aus Versehen einen Hundert-Franc-Schein weggeworfen zu haben. Er fand sich später hinter dem Brotkasten, und wir ließen uns erschöpft und lachend auf ihr altes Sofa fallen, und Valérie schnupperte an mir und meinte, ich rieche wie ein Clochard. Und ich war auch zur Stelle, als sie völlig aufgelöst und mit Tränen in den Augen aus der Telefonzelle trat, weil Foufou, ihr alter Hund, der zu Hause bei den Eltern in Bordeaux lebte, vor ein Auto gelaufen war.
An diesem regnerischen Mainachmittag gingen wir nicht, wie es eigentlich ausgemacht war, zusammen mit den anderen ins Kino. Valérie war zu traurig und zu durcheinander, sie weinte, und ich zog sie rasch in ein kleines Café unweit des Boulevard Saint-Germain, glücklich, sie trösten zu können. Geduldig hörte ich mir die stockenden Erzählungen über einen sandfarbenen Spaniel an,
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