Mephisto
des berühmten Kritikers gehört. »Scheußlich, scheußlich«, murmelte der Doktor und nahm nervös seine Hornbrille ab, um ihre Gläser zu putzen.
Auch Höfgen war der Ansicht, daß es scheußlich sei. Sonst hatten sich die beiden Herren nicht viel zu sagen. Sie fühlten sich nicht recht wohl, der eine in der Gesellschaft des andern. Als Ort ihres Zusammentreffens hatten sie ein abgelegenes, wenig besuchtes Café gewählt. Sie waren beide kompromittiert durch ihre Vergangenheit, beide standen vielleicht immer noch im Verdacht einer oppositionellen Gesinnung, und es könnte fast wie eine Verschwörung wirken, sähe man sie zusammen. Sie schwiegen und schauten sinnend ins Leere, der eine durch seine Hornbrille, der andere durch sein Monokel. »Ich kann natürlich im Augenblick gar nichts für den armen Kerl tun«, ließ Höfgen sich endlich vernehmen. Ihrig, der dasselbe hatte sagen wollen, nickte. Dann schwiegen sie wieder. Höfgen spielte mit seiner Zigarettenspitze. Ihrig räusperte sich. Vielleicht schämten sie sich voreinander. Der eine wußte, was der andere dachte. Höfgen dachte von Ihrig, wie Ihrig von Höfgen: Ja ja, mein Lieber, du bist ein genau so großer Schuft wie ich selber. Diesen Gedanken errieten sie, einer aus den Augen des andern. Deshalb schämten sie sich. Da das Schweigen unerträglich wurde, stand Höfgen auf. »Man muß Geduld haben«, sagte er leise und zeigte dem revolutionären Kritiker sein fahles Gouvernantengesicht. »Es ist nicht leicht, aber man muß Geduld haben. Leben Sie wohl, lieber Freund.«
Hendrik hatte allen Grund zur Zufriedenheit: Lotte Lindenthals Lächeln wurde immer süßer, immer vielversprechender. Wenn sie eine intime Szene miteinander probierten – und die Komödie ›Das Herz‹ bestand fast nur aus intimen Szenen zwischen der Gattin eines großen Geschäftsmannes, die Lottens Rolle war, und dem galanten Hausfreund, den Hendrik darstellte –, dann geschah es wohl, daß sie ihren Busen seufzend an den Partner drückte und feuchte Blicke warf. Höfgen seinerseits blieb von einer Zurückhaltung, die melancholisch-disziplinierten Charakter hatte, und hinter der sich fiebernde Begehrlichkeit zu verbergen schien. Er behandelte Fräulein Lindenthal mit fein akzentuierter Reserviertheit, meistens nannte er sie ›Gnädige Frau‹, in seltenen Augenblicken ›Frau Lotte‹, und nur während der Arbeit, im Eifer des gemeinsamen Probierens ließ er sich einmal zum vertraulich-kollegialen Du hinreißen. Seine Augen aber schienen immer sagen zu wollen: Ach, wenn ich nur könnte, wie ich möchte! Wie würde ich dich umfangen, du Süße! Wie würde ich dich pressen, du Holde! Zu meinem Leidwesen muß ich mich bezwingen, aus Loyalität gegen einen deutschen Helden, der dich die Seine nennt … Solche zugleich brünstigen und männlich-gefaßten Gedanken verrieten die schönen Augen des Schauspielers Höfgen. In Wirklichkeit dacht er nur: Warum – um Gottes willen, warum hat sich der Ministerpräsident, der doch jede haben könnte, gerade die ausgesucht? Sie mag ja eine ganz brave Person und eine vortreffliche Hausfrau sein, aber sie ist doch schrecklich dick, und dabei so lächerlich affektiert. Eine schlechte Schauspielerin ist sie übrigens auch …
Auf den Proben hatte er zuweilen große Lust, die Lindenthal anzuschreien. Jeder anderen Kollegin hätte er ins Gesicht gesagt: Was Sie da machen, meine Gute, ist schlimmstes Provinztheater. Daß Sie eine feine Dame spielen, ist kein Anlaß, mit einer so hohen, verstellten Stimme zu sprechen und auf so groteske Art ständig den kleinen Finger wegzustrecken, wie Sie das zu tun belieben. Feine Damen haben längst nicht immer diese Gewohnheit. Und wo steht geschrieben, daß die Gattin eines großen Geschäftsmannes, wenn sie mit ihrem Hausfreund flirtet, die Ellenbogen vom Körper entfernt halten muß, als habe sie sich die Bluse mit einer stinkenden Flüssigkeit beschmiert und fürchte sich nun, die Ärmel mit ihr in Berührung zu bringen? Lassen Sie doch bitte diese Albernheiten!
Natürlich hütete sich Hendrik sehr wohl, dergleichen Lotten gegenüber auszusprechen. Auch ohne daß sie die verdienten Grobheiten gesagt bekam, schien sie aber zu spüren, daß sie sich auf den Proben blamierte. »Ich fühle mich so unsicher«, klagte sie und machte ihr naives Kleinmädchengesicht. »Es ist das Berliner Milieu – das bringt mich ganz durcheinander. Ach, gewiß werde ich schrecklich durchfallen und miserable Presse bekommen!« Sie
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