Mephisto
tat, als wäre sie irgendeine kleine Debütantin, die ernsthaft Angst vor den Berliner Kritikern haben müßte. »Oh, bitte bitte, Hendrik, sagen Sie mir« – dabei patschte sie babyhaft in die erhobenen Händchen –, »wird man mich recht grausam behandeln? Wird man mich zerzausen und verreißen?« Hendrik konnte mit dem Brustton echter Überzeugtheit erklären, daß er dies für gänzlich ausgeschlossen halte. –
Während Höfgen und die Lindenthal noch die Komödie ›Das Herz‹ probierten, wurde bekannt, daß der ›Faust‹ wieder ins Repertoire des Staatstheaters aufgenommen werden sollte. Zu seinem Entsetzen mußte Hendrik erfahren, daß Cäsar von Muck – sicherlich im Einverständnis mit dem Propagandaminister – beschlossen hatte, die Rolle des Mephisto mit einem Schauspieler zu besetzen, der schon seit langen Jahren der Nationalsozialistischen Partei angehörte und den man, vor einigen Wochen, aus der Provinz nach Berlin berufen hatte. Dieses war die Rache des ›Tannenberg‹-Dichters an Höfgen, der seine Stücke abgelehnt hatte. Hendrik spürte: Ich bin erledigt, wenn Muck durchkommt mit seinem scheußlichen Plan. Der Mephisto ist meine große Rolle. Darf ich ihn nicht spielen, dann ist es erwiesen, daß ich in Ungnade bin. Dann ist es deutlich, daß die Lindenthal ihren Einfluß beim Ministerpräsidenten nicht für mich geltend macht, oder daß sie den großen Einfluß gar nicht besitzt, den man ihr zuschreibt. Mir bliebe dann nichts mehr übrig, als meine Koffer zu packen und nach Paris zurück zu reisen – wo ich vielleicht überhaupt hätte bleiben sollen; denn hier ist es eigentlich scheußlich. Meine Stellung ist eine traurige, besonders wenn man sie mit der vergleicht, die ich früher hatte. Alle sehen mich mißtrauisch an. Man weiß, daß der Intendant und der Propagandaminister mich hassen, und man hat noch nicht den kleinsten Beweis dafür, daß ich beim Fliegergeneral wirklich in Gunst stehe. Eine feine Situation, in die ich da geraten bin! Der Mephisto könnte alles retten, von ihm hängt jetzt alles ab …
Vor Beginn einer Probe trat Höfgen mit festen Schritten auf Lotte Lindenthal zu, und das Beben seiner Stimme war ausnahmsweise keineswegs künstlich, als er sagte: »Frau Lotte – ich habe eine große, große Bitte an Sie.« Sie lächelte etwas angstvoll: »Ich bin meinen Kollegen und Freunden immer gerne behilflich – wenn ich kann.«
Da sprach er, mit tiefem, hypnotisierenden Blick in ihre Augen hinein: »Ich muß den Mephisto spielen. Verstehen Sie mich, Lotte?« Sein großer, dringlicher Ernst erschreckte sie, und übrigens fühlte sie sich erregt durch die andrängende Nähe seines Körpers, der ihr längst nicht mehr gleichgültig war. Sanft errötend, die Augen niedergeschlagen – wie ein junges Mädchen, dem man den Antrag macht, und das verheißt, sie werde sich mit den Eltern beraten – flüsterte sie: »Ich will versuchen, was ich machen kann. Ich spreche noch heute mit ihm. «
Hendrik hatte ein tiefes Aufatmen der Erleichterung.
Am nächsten Morgen rief das Sekretariat der Staatstheaterintendanz ihn an, um mitzuteilen, er werde am Nachmittag zur Arrangierprobe der neuen ›Faust‹-Einstudierung erwartet. Das war der Sieg. Der Ministerpräsident hatte sich für ihn verwendet. Ich bin gerettet, dachte Hendrik Höfgen. – Er schickte einen großen Strauß gelber Rosen an Lotte Lindenthal; den schönen Blumen legte er einen Zettel bei, auf den er in großen, pathetisch eckigen Buchstaben das Wort ›DANKE‹ schrieb.
Es erschien ihm beinahe schon selbstverständlich, daß der Intendant Cäsar von Muck ihn, vor Beginn der Probe, in sein Büro bitten ließ. Der nationale Dichter zeigte die einfachste Herzlichkeit – die eine viel beachtenswertere schauspielerische Leistung war, als die feine Zurückhaltung, die Hendrik an den Tag legte.
»Ich freue mich darauf, Sie als Mephisto zu sehen«, sprach der Dramatiker, ließ die stahlblauen Augen warm aufblitzen und ergriff mit männlicher Innigkeit die Hände des Menschen, den er hatte vernichten wollen. »Wie ein Kind freue ich mich darauf, Sie in dieser ewigen, tief deutschen Rolle zu sehen.« – Es war deutlich: der Intendant hatte sich entschlossen, sein Verhalten Höfgen gegenüber mit einem Schlage und total zu ändern, seitdem der Ministerpräsident sich für diesen Schauspieler eingesetzt hatte. Natürlich hatte Cäsar von Muck, nach wie vor, die unerbittliche Absicht, den fatalen Burschen nicht gar zu groß
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