Mephisto
werden zu lassen und ihn, wenn irgend möglich, recht bald vom Staatstheater zu entfernen. Es schien ihm aber geraten, seinen Kampf gegen den alten Feind von jetzt ab auf heimlichere und schlauere Art zu führen. Herr von Muck war durchaus nicht geneigt, sich Höfgens wegen mit dem mächtigen Ministerpräsidenten oder mit der Lindenthal zu überwerfen. Als Intendant der Preußischen Staatstheater hatte man allen Grund, sich mit dem Ministerpräsidenten ebenso gut zu stellen wie mit dem Propagandaminister …
»Unter uns gesagt«, fuhr der Intendant mit der Miene kameradschaftlicher Vertraulichkeit fort, »Sie haben es mir zu verdanken, daß Sie den Mephisto wieder spielen werden.« In seiner Aussprache machte sich der sächsische Akzent, mit dem er vielleicht seine markige Biederkeit betonen wollte, heute stark bemerkbar. »Es gab da gewisse Bedenken«, – er dämpfte seine Stimme und schnitt eine Grimasse des Bedauerns –, »gewisse Bedenken in ministeriellen Kreisen – Sie verstehen, mein lieber Höfgen … Man fürchtete, Sie könnten den Geist der vorigen ›Faust‹-Inszenierung – einen etwas kulturbolschewistischen Geist, wie man sich ausdrückte – in unsere neue Einstudierung tragen. Nun, es ist mir gelungen, diese Befürchtungen zu widerlegen und zu überwinden!« schloß der Intendant fröhlich, und er schlug dem Schauspieler herzhaft auf die Schulter. –
Einen argen Schrecken hatte Höfgen an diesem sonst erfolgreichen Tage noch auszustehen. Als er die Probebühne betrat, stieß er mit einem jungen Menschen zusammen, es war Hans Miklas, Hendrik hatte seit Wochen nicht mehr an ihn gedacht. Natürlich, Miklas lebte, er war sogar am Staatstheater engagiert, und er sollte in der neuen ›Faust‹-Inszenierung den Schüler spielen. Auf dieses Zusammentreffen war Hendrik nicht vorbereitet; um die Besetzung der kleineren Rollen hatte er sich, bei all den Aufregungen, die es auszustehen gab, noch nicht gekümmert. Nun überlegte er sich blitzschnell. Wie verhalte ich mich? Dieser renitente Bursche haßt mich noch – wenn es nicht selbstverständlich wäre: der bleiche und böse Blick, den er mir gerade zugeworfen hat, müßte es mir verraten. Er haßt mich, er hat nichts vergessen, und er kann mir schaden, wenn er Lust dazu hat. Was hindert ihn, Lotte Lindenthal zu erzählen, warum es damals zu dem Auftritt zwischen uns im ›H. K.‹ gekommen ist. Ich wäre verloren, wenn er sich das einfallen ließe. Aber er wagt es nicht, so weit wird er wahrscheinlich nicht gehen. – Hendrik beschloß: Ich werde ihn fast übersehen und ihn mit meinem Hochmut einschüchtern. Dann denkt er, ich sei schon wieder ganz obenauf, habe alle Trümpfe in der Hand und man könne nichts gegen mich ausrichten. – Er klemmte sich das Monokel vors Auge, machte ein spöttisches Gesicht und sprach durch die Nase: »Herr Miklas – sieh da! Daß es Sie auch noch gibt!« Dabei betrachtete er seine Fingernägel, lächelte aasig, hüstelte und schlenderte weiter.
Hans Miklas hatte die Zähne aufeinandergebissen und geschwiegen. Sein Gesicht war unbewegt geblieben, aber da Hendrik es nicht mehr beobachten konnte, verzerrte es sich vor Haß und vor Schmerz. Niemand kümmerte sich um den Knaben, der trotzig und einsam an einer Kulisse lehnte. Niemand sah, daß er die Fäuste ballte und daß seine hellen Augen sich mit Tränen füllten. Hans Miklas zitterte an seinem schmalen, mageren Körper, der an den Körper eines unterernährten Gassenbuben, zugleich an den eines übertrainierten Akrobaten erinnerte. Warum zitterte denn Hans Miklas? Und warum weinte er denn?
Begann er einzusehen, daß er betrogen worden war – betrogen in einem fürchterlichen, riesenhaften und nie mehr gutzumachenden Ausmaß? Ach, er war noch nicht an dem Punkte, dies zu begreifen. Indessen stellten vielleicht doch die ersten Ahnungen sich ein. Schon diese Ahnungen waren von der Art, daß seine Hände sich zusammenkrampften und seine Augen sich mit Tränen füllten.
Die ersten Wochen nach der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten und ihren ›Führer‹, hatte dieser junge Mensch sich gefühlt wie im Himmel. Der schöne und große Tag, der Tag der Erfüllung, auf den man so lange und mit so viel Sehnsucht gewartet hatte, nun war er da! Was für ein Jubel! Der junge Miklas hatte vor Seligkeit geschluchzt und getanzt. Damals hatte sein Gesicht gestrahlt im Licht der echten Begeisterung: auf seiner Stirne war Glanz gewesen, und Glanz in seinen Augen.
Weitere Kostenlose Bücher