Mephisto
sprechen, wie er es sich so oft gewünscht und vorgestellt hatte in all den einsamen Tagen. In seinem Kopf aber jagten sich die Überlegungen. Wie werden sie mich empfangen? Man wird Fragen an mich richten – wie könnte ich sie beantworten? Hier, in meiner Brusttasche, habe ich die Schlafwagenkarte nach Berlin, durch die Vermittlung von zwei blonden, freundlichen Damen bin ich schon so gut wie ausgesöhnt mit dem Regime, das diese Menschen da vertrieben hat und dem ich, Barbara gegenüber, so oft unversöhnliche Feindschaft geschworen habe. Was für ein verächtliches Lächeln würde dieser Sebastian mir zeigen! Und wie könnte ich Barbaras Blick ertragen, ihren dunklen, spöttischen, unbarmherzigen Blick? … Ich muß fliehen – man scheint mich noch nicht bemerkt zu haben – sie schauen ja alle auf eine so sonderbare Art ins Leere. Ich muß machen, daß ich davonkomme, diese Begegnung ginge über meine Kräfte …
Die am Tisch rührten sich immer noch nicht, sie schienen durch Hendrik Höfgen hindurch zu schauen wie durch Luft. Sie saßen unbeweglich, als hätte ein großer Schmerz sie versteinert, während Hendrik davoneilte, mit kleinen und steifen Schritten, so wie jemand geht, der sich in großer Angst vor einer Gefahr entfernen, aber doch verbergen möchte, daß er flieht.
Nach der ersten Probe sagte Lotte Lindenthal zu Höfgen: »Es ist ein Jammer, daß der General jetzt gerade so ungeheuer beschäftigt ist. Wenn er es irgend einrichten könnte, würde er sicher einmal auf die Probe kommen und uns ein bißchen bei der Arbeit zuschauen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was für glänzende Ratschläge er uns Schauspielern manchmal gibt. Ich glaube, er versteht von Theater ebenso viel wie von seinen Flugzeugen – und das will etwas heißen!«
Hendrik konnte es sich vorstellen, und er nickte respektvoll. Dann fragte er Fräulein Lindenthal, ob er sie in seinem Wagen nach Hause bringen dürfe. Sie gestattete es mit einem huldvollen Lächeln. Während er ihr den Arm bot, sagte er leise: »Es bedeutet eine so große, große Freude für mich, mit Ihnen spielen zu dürfen. In den letzten Jahren habe ich gar zu viel unter den Manieriertheiten meiner Partnerinnen zu leiden gehabt. Dora Martin hat die deutschen Schauspielerinnen durch das schlechte Beispiel ihres krampfhaften Stils verdorben – das war kein Theaterspielen mehr, sondern hysterisches Gemauschel. Und nun höre ich von Ihnen wieder einen klaren, einfachen, seelenvollen und warmen Ton!«
Sie schaute ihn dankbar an aus ihren etwas hervortretenden, veilchenblauen und dummen Augen. »Ich bin so froh, daß Sie mir das sagen«, flüsterte sie und drückte seinen Arm ein wenig fester an ihren. »Denn ich weiß, daß Sie mir nicht schmeicheln. Ein Mensch, der seinen Beruf so heilig ernst nimmt wie Sie, schmeichelt nicht in künstlerischen Dingen.«
Hendrik seinerseits entsetzte sich geradezu bei dem Gedanken, daß er geschmeichelt haben könnte. »Aber ich bitte Sie!« Er legte die Hand aufs Herz. »Ich – und schmeicheln! Meine Freunde pflegen mir vorzuwerfen, daß ich den Menschen gar zu gerne unangenehme Wahrheiten ins Gesicht sage.« Die Lindenthal freute sich, dies zu hören. »Ich mag aufrichtige Menschen gut leiden«, erklärte sie schlicht. – »Schade, daß wir schon da sind«, sagte Hendrik, der seinen Wagen vor einem stillen, eleganten Haus in der Tiergartenstraße halten ließ; denn hier wohnte Lotte Lindenthal. Er beugte sich über ihre Hand, um sie zu küssen, wobei er den grauledernen Handschuh ein wenig zurückstreifte, auf daß er mit seinen Lippen ihre milchig weiße Haut berühren könne. Sie schien diese kleine Keckheit zu übersehen oder doch jedenfalls nicht zu mißbilligen, ihr Lächeln blieb strahlend. »Tausend Dank, daß ich Sie begleiten durfte!« sprach er über ihre Hand geneigt. Während sie auf die Türe ihres Hauses zuging, dachte er: Wenn sie sich noch einmal umdreht, dann wird alles gut. Wenn sie aber gar winkt, dann ist es ein Triumph, und ich kann es weit bringen. – Sie überquerte in aufrechter Haltung die Straße. Als sie vor der Haustür angekommen war, wendete sie den Kopf, zeigte eine verklärte Miene, und – welche Wonne! – sie hob winkend die Hand. Hendrik spürte einen Glücksschauer; denn Lotte Lindenthal rief schalkhaft: »Ta ta!« Das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Mit einem großen Seufzer der Erleichterung lehnte er sich zurück in die Lederpolster seines Mercedes-Wagens.
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