Mephisto
werden arrangiert, die Saar ist deutsch –: ein Volksfest. Der Dicke heiratet endlich seine Lindenthal und läßt sich Hochzeitsgeschenke im Wert von Millionen machen –: ein Volksfest. Deutschland tritt aus dem Völkerbund aus, Deutschland hat seine ›Wehrhoheit‹ wieder: lauter Volksfeste. Zum Volksfest wird jeder Vertragsbruch, ob es sich um den Vertrag von Versailles oder um den von Locarno handelt und das obligate ›Plebiszit‹, das sich anschließt. Lang ausgedehnte Volksfeste sind die Verfolgung der Juden und die öffentliche Anprangerung jener Mädchen, die mit ihnen ›Rassenschande‹ trieben; die Verfolgung der Katholiken, von denen man jetzt erst erfährt, daß sie niemals viel besser als die Juden waren, und gegen die schalkhafterweise ›Devisenprozesse‹ wegen Bagatellen arrangiert werden, während die nationalen Führer Riesenvermögen ins Ausland verschieben; die Verfolgung der ›Reaktion‹, unter der man sich nichts Genaues vorstellen kann. Der Marxismus ist ausgerottet, aber immer noch eine Gefahr und Anlaß zu Massenprozessen; die deutsche Kultur ist ›judenrein‹, dafür aber so öde geworden, daß niemand mehr etwas von ihr wissen will; die Butter wird knapp, aber Kanonen sind wichtiger; zum 1. Mai, der früher der Feiertag des Proletariats gewesen, erzählt heute ein versoffener Doktor – aufgeschwemmte Champagnerleiche – etwas über die Lebensfreude. Wird dies Volk denn nicht müde so zahlreicher und so fragwürdiger festlicher Veranstaltungen? Vielleicht ist es schon müde. Vielleicht stöhnt es schon. Aber der Lärm aus den Megaphonen und Mikrophonen übertönt seinen Jammerlaut.
Das Regime geht weiter seinen schauerlichen Weg. Am Rand des Weges häufen sich die Leichen.
Wer sich auflehnte, wußte, was er riskierte. Wer die Wahrheit sagte, mußte mit der Rache der Lügner rechnen. Wer die Wahrheit zu verbreiten suchte und in ihrem Dienste kämpfte, war bedroht mit dem Tode und mit all jenen Schrecken, die dem Tod in den Kerkern des Dritten Reiches voranzugehen pflegten.
Otto Ulrichs hatte sich sehr weit vorgewagt. Seine politischen Freunde wiesen ihm die schwierigsten und gefährlichsten Aufgaben zu. Man war der Ansicht – oder man hoffte doch, daß seine Stellung am Staatstheater ihn bis zu einem gewissen Grade schützte. Jedenfalls war seine Situation günstiger als die von manchen seiner Kameraden, die unter falschen Namen in Verstecken lebten – immer auf der Flucht vor den Agenten der Gestapo, verfolgt von der Polizei wie Verbrecher: wie Diebsgesindel oder Mörder gehetzt durch dieses Land, das verfallen an die Mörder und an das diebische Gesindel war. – Otto Ulrichs konnte manches wagen, was für seine Freunde den gar zu sicheren Untergang bedeutet hätte. Er wagte zuviel. Eines Morgens wurde er verhaftet. Damals studierte man im Staatstheater den »Hamlet« ein, der Intendant selber hatte die Titelrolle. Ulrichs sollte den Hofmann Güldenstern spielen. Als er, ohne daß er sich entschuldigt hätte, nicht zur Probe kam, erschrak Höfgen, der sofort wußte oder doch ahnte, was geschehen war. Er zog sich vorzeitig von der Probe zurück, das Ensemble arbeitete ohne ihn weiter. Als der Intendant durch Ottos Wirtin erfahren hatte, daß Ulrichs am frühen Morgen von drei Herren in Zivil abgeholt worden war, ließ er sich mit dem Palais des Ministerpräsidenten verbinden. Wirklich bemühte der Dicke sich selbst an den Apparat, wurde aber recht kurz angebunden und zerstreut, als Hendrik ihn fragte, ob er etwas über die Verhaftung Otto Ulrichs' wisse. Der Fliegergeneral erklärte, daß er nicht unterrichtet sei. »Ich bin auch gar nicht zuständig«, sagte er etwas nervös. »Wenn unsere Leute den Kerl einstecken, wird er schon irgend etwas auf dem Kerbholz haben. Ich war ja von Anfang an mißtrauisch gegen den Burschen. Und dieser ›Sturmvogel‹ damals, das war doch wohl eine verdammt üble Kiste.« Als Hendrik dann noch zu fragen wagte, ob man denn gar nichts zur Milderung von Ulrichs' Situation unternehmen könne, wurde der Dicke ungnädig. »Nein nein, mein Lieber – lassen Sie nur besser Ihre Finger von dieser Sache!« ließ sich seine fette und scharfe Stimme vernehmen. »Sie tun klüger daran, sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.« Das klang bedrohlich. Auch die Anspielung auf den ›Sturmvogel‹, wo Höfgen doch selber als ›Genosse‹ aufgetreten war, hatte keinen angenehmen Ton gehabt. Hendrik begriff, daß er den Verlust der allerhöchsten
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