Mephisto
häuften sich die Leichen.
Die Ausländer, die sich eine Woche in Berlin und einige Tage in der Provinz aufhielten – englische Lords, ungarische Journalisten oder italienische Minister –, rühmten die tadellose Sauberkeit und Ordnung, die ihnen auffiel im erniedrigten Lande. Sie fanden, alle Leute zeigten lustige Gesichter, und stellten fest: Der Führer wird geliebt, er ist der Geliebte des ganzen Volkes, eine Opposition gibt es nicht. Inzwischen war die Opposition, sogar im Herzen der Partei selber, so stark und so bedrohlich geworden, daß das fürchterliche Triumvirat – der Führer, der Dicke und der Hinkende – ›schlagartig‹ eingreifen mußte. Der Mann, dem der Diktator seine Privatarmee verdankte, den der Propagandachef noch vorgestern bezaubernd angegrinst und den der Staatschef noch gestern seinen ›treuesten Kameraden‹ genannt hatte – er wurde eines Nachts vom Führer höchstpersönlich aus dem Bett gerissen und ein paar Stunden später erschossen. Ehe der Schuß knallte, gab es zwischen dem Messias aller Germanen und seinem treuesten Kameraden eine Szene, wie sie zwischen hochgestellten Herren kaum je üblich war. Der treuste Kamerad schrie den Messias an: »Du bist der Schuft – der Verräter: du bist es!« Zu solcher Aufrichtigkeit hatte er nun den Mut, da er merkte, daß sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Mit ihm mußten Hunderte von alten Parteimitgliedern sterben, die zu renitent geworden waren. Gleichzeitig brachte man ein paar hundert Kommunisten um und, weil man doch schon beim Töten großen Stils war, ließen der Dicke, der Hinkende und der Führer auch noch alle die beiseite schaffen, gegen die sie persönlich irgend etwas hatten, oder von denen sie für die Zukunft irgend etwas befürchteten: Generale, Schriftsteller, alte Ministerpräsidenten außer Dienst – es wurden keine Unterschiede gemacht, manchmal erschoß man auch die Frauen gleich mit, Köpfe müssen rollen, der Führer hatte es immer gesagt, und nun war man so weit. Eine kleine »Säuberungsaktion« – wurde nachher proklamiert; die Lords und die Journalisten fanden, die Energie des Führers sei etwas Wundervolles –: er war ein so sanfter Mensch, liebte die Tiere, rührte kein Fleisch an, aber die treuesten Kameraden konnte er verrecken sehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Volk schien den Gottgesandten nach der Blut-Orgie noch heftiger zu lieben als vorher, einsam und verstreut saßen die im Lande, die sich ekelten und entsetzten, ›ich muß erleben‹, hatte der Doktor Faust einst geklagt, ›ich muß erleben – daß man die frechen Mörder lobt‹.
Es rollten die Köpfe adliger junger Mädchen, von denen man behauptete, sie hätten etwas ausgeplaudert, was der totale Staat geheimhalten wollte – Köpfe ab, diesmal waren es zwei zarte Damenköpfe. Es rollten die Köpfe von Männern, die kein anderes Verschulden kannten, als daß sie ihre sozialistische Gesinnung nicht hatten abschwören wollen – auch der Messias aber, der sie hinrichten ließ, nannte sich Sozialist. Der Messias behauptete, daß er den Frieden liebe, und ließ die Pazifisten in den Konzentrationslagern martern. Sie wurden getötet, den Angehörigen ging ihre Asche in versiegelter Urne zu, samt der Mitteilung, das Pazifistenschwein habe sich erhängt oder sei auf der Flucht erschossen worden. Die deutsche Jugend lernte das Wort ›Pazifist‹ als einen Schimpfnamen; die deutsche Jugend brauchte nicht mehr Goethe oder Plato zu lesen, sie lernte schießen, Bomben werfen, sie ergötzte sich bei nächtlichen Geländeübungen; wenn der Führer vom Frieden schwatzte, begriff sie, daß er es nur scherzhaft meinte. Diese militärisch organisierte, disziplinierte, gedrillte Jugend kannte nur ein Ziel, hatte nur eine Perspektive: den Revanche-Krieg, den Eroberungskrieg: Elsaß-Lothringen ist deutsch, die Schweiz ist deutsch, Holland ist deutsch, Dänemark ist deutsch, die Tschechoslowakei ist deutsch, die Ukraine ist deutsch, Österreich ist so besonders deutsch, daß eigentlich kaum ein Wort darüber zu verlieren ist, Deutschland muß seine Kolonien wiederhaben. Das ganze Land verwandelt sich in ein Heerlager, die Rüstungsindustrie floriert, es ist die totale Mobilmachung in Permanenz, und das Ausland schaut gebannt auf dies imposante, grauenerregende Schauspiel, wie das Kaninchen auf die Schlange, von der es gleich gefressen sein wird.
Man amüsiert sich auch unter der Diktatur. ›Kraft durch Freude‹ ist die Parole, Volksfeste
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